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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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veranlassen würde.
     
    Dies alles, so dachte der Herzog, waren Vorbereitungshandlungen. Denn jetzt musste es sein, er musste es Franziska sagen, er musste bei ihr die Beichte ablegen. Im bloßen Hemd, das er über der Brust weit geöffnet hatte, ging er zu ihr in den unteren Stock, scheuchte auf der Treppe zwei Diener weg, die nach seinen Wünschen fragen wollten. Die Hohenheimer Meierei war, im Gegensatz zu den endlosen Fluchten der Solitude, klein und übersichtlich; nur wenige Schritte, und er klopfte an die Tür zu Franziskas Kabinett. Um diese Zeit war auch sie gewöhnlich allein, und da keine Zofe öffnete, drückte er die Klinke nieder und betrat mit gemischten Gefühlen ihr - wie hatte er es doch im Scherz genannt? - Territorium. Wie jedes Mal nahm er als Erstes die Wandbespannung aus leichter Seide wahr; auf gelbem Grund waren bunte asiatische Vögel und exotische Blumen eingestickt. Das verwirrte das Auge. Franziskas Begeisterung für Chinoiserien teilte er immer noch nicht, und auch ihre Vorliebe für Gelbes - für alles Sonnige, wie sie sagte - entsprach nicht seinem Geschmack, der eher dem Schweren, dem Karminroten zuneigte. Man durfte ihr aber die Befremdung nicht zu sehr zeigen, sonst glitt über ihr Gesicht diese Verletztheit, die ihn verstehen konnte wie kaum etwas anderes. Das Zweite, was er sah, war der Salontisch, auf dem etliche Bücher lagen, fromme meist, natürlich eine aufgeschlagene Bibel; er sammelte ja seit einigen Jahren alte Bibeln. Ab und zu hatte er, der Katholik, ihr, der Protestantin, ein kostbares Exemplar geschenkt. Das war das unverfänglichste religiöse Gelände zwischen ihnen.
    Er schaute sich um. Sie war im anschließenden Boudoir, er hatte es geahnt. Der Vorhang, gelb natürlich, senfgelb, war nur halb gezogen, nach einem kleinen Zögern überschritt er auch diese Grenze. Da saß sie am Toilettentisch vor einer Unmenge von Töpfchen und Dosen und lächelte ihn aus dem Spiegel an. Sie trug über dem Mieder ein cremefarbenes, fließendes Gewand, das ihr, so wie er’s mochte, ein römisches Aussehen gab, sie hatte es unterhalb der Brust nur durch ein paar Bänder gerafft. Frisiert war sie schon; ihre dunkelbraunen Locken wellten sich über Schläfen und Ohren bis zum Hals.
    »Du machst dich schön für mich«, sagte der Herzog und legte ihr seine Hände, die ihm in solchen Momenten stets tapsig vorkamen, auf die Schulter. »Brav, sehr brav!«
    Ihr Lächeln verstärkte sich, und sie legte, ohne sich umzudrehen, ihre zarten und wohlmanikürten Hände auf seine, als bedeute sie ihm, er solle sie lange dort lassen. »Gewiss«, sagte sie, »wir wollen doch zusammen dinieren.«
    Es war ein kostbarer Moment, der schönste des Tages; nie hätte er sich zu einer Zeit, da er vier, fünf Mätressen zugleich aushielt, träumen lassen, dass er sich eines Tages damit begnügen würde, durchs Neglige hindurch die Wärme eines Frauenkörpers zu spüren, ohne dem Begehren stracks nachgeben zu müssen. Dem Anblick aber, den sie zu zweit, als Paar, im Spiegel abgaben, konnte er nicht ausweichen. Und obwohl er wusste, dass es so war, und zudem das seitlich einfallende Abendlicht ihnen schmeichelte, erschrak er doch wieder darüber, wie sehr Wunschbild, Erinnerung und Wirklichkeit auseinanderklafften. Da stand er, Karl Eugen, Herzog von Württemberg. Ein behäbiges, rotwangiges Bauerngesicht. Schütteres Haar. Fleischige Lippen, Runzeln, Tränensäcke, ein Wanst, den das Hemd nur notdürftig tarnte. Ein verlebter Mann, alt schon, alles andere als ein Beau, nicht einmal würdevoll, sobald die Insignien des Amtes wegfielen. Und sie, sein Franzele, zwar zwei Jahrzehnte jünger als er, aber nun doch mit Spuren des Alters, die weder Schminke noch Puder ganz übertünchen konnten, Doppelkinn, schlaffe Haut an Wangen und Hals. Ach, wie hasste er den Lauf der Zeit, die solche Verwüstungen anrichtete! Franziska von Leutrum, gegen ihren Willen verheiratet mit einem grämlichen Kammerherrn, war eine junge Frau gewesen, als er sie in einem Schwarzwälder Kurort kennengelernt hatte. Eine ungewöhnliche Erscheinung, nichts Höfisch-Zeremonielles war an ihr, ohne jede Devotheit hatte sie sich mit dem gefürchteten Landesherrn, dem fürstlichen Lebemann, unterhalten. Was an ihr strahlte, waren ihre Augen, ihre Klugheit, und nicht die herausgeputzte Schönheit all der Sängerinnen, die eine nach der anderen in seinem Bett gelegen hatten. Er staunte über sich selbst, als er sich in diese Frau verliebte und

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