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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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Süß Oppenheimer, dem schier allmächtigen Finanzrat des Vaters, dem Geldeintreiber, den man in ganz Württemberg wie keinen zweiten gehasst hatte. Seine Widersacher hatten ihn nach dem Tod des Herzogs sogleich verhaftet, er wurde, ohne dass klare Beweise gegen ihn vorlagen, gehängt und, zur Warnung aller, die das Land betrügen wollten, jahrelang im rotgestrichenen eisernen Käfig gelassen, der eigens für seine Hinrichtung gebaut worden war. Dies alles - und den ganzen Aufruhr rund um den Schauprozess - hatte der Junge nur von ferne mitbekommen. Doch eines Tages fand Karl Eugens strenger Erzieher, der Hofmeister Monieon, ein künftiger Landesherr müsse sehen, wie der Fürstenstaat Hoffart und räuberische Anmaßung eines aus dem Ghetto aufgestiegenen Juden bestrafe. In einer vierspännigen Kutsche - es mochte zwei, drei Monate nach der Hinrichtung sein - fuhr er mit Karl Eugen zum Stuttgarter Galgenberg oberhalb der Tunzenhofer Steige. Er forderte den Jungen auf, das Gerüst, das von zwei Soldaten bewacht wurde, aus der Nähe zu besichtigen. Der Käfig hing hoch über dem Boden an einem Querbalken und schwankte leicht im Wind. Drin war zusammengeschrumpftes schwärzliches Fleisch zu erkennen, das an verschlissenem Tuch haftete, Mumienhände ragten heraus, ein Kopf, der keiner mehr war, und manchmal wehte der Wind einen so abscheulichen Aasgestank herbei, dass der Junge, der doch schon tote Tiere gerochen hatte, beinahe ohnmächtig wurde. Ein paar Krähen flogen um den Käfig herum; von Zeit zu Zeit schwoll ihr Krächzen ohrenbetäubend an. In den ersten Wochen, sagte Monieon, seien es Hunderte von Vögeln gewesen, die versucht hätten, in den Käfig hineinzugelangen, ganze Schwärme, die den Himmel verdunkelten. Damals seien auch immer noch viele Zuschauer herbeigeströmt, um den Toten zu sehen und sich zu vergewissern, dass der Gerechtigkeit Genüge getan sei. Jetzt, im Zustand der fortgeschrittenen Verwesung, sei der Leichnam für Aasfresser und Menschen weniger interessant. Noch näher zum Käfig sollte Karl Eugen treten, doch er rang um Luft, er wollte nicht. Monieon stieß ihn unsanft vorwärts. Da nahm der Junge alle Kraft zusammen, drehte sich um und rannte, unter den mahnenden Zurufen des Erziehers, zur Kutsche zurück. Er flüchtete sich ins stickige Innere, er drückte die Nase ans Sitzpolster, um etwas anderes zu riechen. Doch auf der ganzen Rückfahrt, während Monieon ihm einen Vortrag über die Untaten des Jud Süß hielt, hatte Karl Eugen den Gestank in der Nase, und noch am nächsten Tag schien ihm, er habe alles durchdrungen und lasse sich nicht vom eigenen Körper abwaschen, so stark man auch schrubben mochte. Noch Wochen später schnupperte er manchmal verstohlen an seiner Hand und erkannte hinter allen Wohlgerüchen den ganz anderen, jenen der Totenfäulnis. Seither verfolgte ihn das Bild des eisernen Käfigs. In Potsdam, am Hofe Friedrichs n., wo er Page war, begann es zu verblassen. Aber als der Kaiser seine vorzeitige Mündigkeit bewilligt hatte und Karl Eugen mit sechzehn in Stuttgart triumphalen Einzug hielt, war eine seiner ersten Amtshandlungen, den Käfig entfernen und den mumifizierten Leichnam verscharren zu lassen. Sein Leben lang gab er darauf acht, sich nicht, wie sein Vater, von Juden, gar von einem Hofjuden abhängig zu machen, obwohl man andererseits ohne die Wucherer nicht auskam. Den Juden war nicht zu trauen, dabei blieb er. Dieser Hannikel - unwillkürlich sprangen seine Gedanken weiter - hatte sich doch, dem Vernehmen nach, darauf hinausgeredet, mit der Beraubung reicher Juden ein gutes Werk getan zu haben. Beinahe musste der Herzog lachen; der Kerl hatte ja nicht unrecht. Doch solange die Juden die von einem christlichen Staat gesetzten Schranken nicht missachteten und alle Abgaben entrichteten, standen auch sie als Untertanen unter herzoglichem Schutz. Und hier ging es um den Mord an einem seiner Soldaten. Das musste gesühnt werden. Und wenn der Käfig in seinen Träumen wiederkehrte, dann sei’s drum.
    Trotzig fast griff der Herzog, ohne sich zu setzen, nach der Feder, die schon bereitlag. Er tunkte sie ins Tintenfass, und nachdem er das Urteil noch einmal flüchtig durchgelesen hatte, setzte er seinen Namen darunter, krakelige Buchstaben, die er sich schwungvoller und größer gewünscht hätte. Dann schellte er nach dem Kammerherrn; er trug ihm auf, das Dokument zu versiegeln und es dem Regierungsrat zu überbringen, der die pünktliche Weiterleitung nach Sulz

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