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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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Entscheidungen zu treffen, wann man einen Stoppball versuchen oder hart, hoch oder tief schlagen sollte, wann man mit Slice, Topspin oder flach spielen sollte und wohin man den Ball zielt. Toni brachte mich dazu, von klein auf viel über die Grundtaktiken beim Tennis nachzudenken. Wenn ich Fehler machte, fragte er: »Was hast du falsch gemacht?« Wir sprachen darüber und analysierten ausgiebig meine Schwächen. Dabei ging es ihm nicht darum, mich zu seiner Marionette zu machen, sondern mich zu eigenständigem Denken zu bewegen. Nach Tonis Auffassung ist Tennis ein Spiel, bei dem man sehr schnell eine Fülle von Informationen verarbeiten muss. Um Erfolg zu haben, muss man besser denken als der Gegner. Und um klar zu denken, muss man cool bleiben.
    Toni forderte mich immer bis zum Letzten und förderte damit meine mentale Stärke, was sich im Viertelfinale dieser ersten U12Meisterschaft, an der ich teilnahm, auszahlte. Mein Gegner war der Favorit und drei Jahre älter als ich. Die ersten drei Spiele verlor ich, ohne auch nur einen Punkt zu erzielen, gewann aber schließlich ohne Satzverlust. Auch das Endspiel gewann ich in zwei Sätzen. Der Pokal steht nach wie vor bei mir zu Hause neben den Trophäen, die ich als Profispieler gewann.
    Es war ein sehr wichtiger Sieg, denn er motivierte mich für alles, was folgte. Der Rahmen war jedoch alles andere als großartig. Zum Endspiel auf der Nachbarinsel Ibiza kamen gerade mal 50 Zuschauer, und davon gehörten die meisten zu meiner Familie. Sie freuten sich, als ich gewann, waren aber nicht völlig aus dem Häuschen. Hinterher gab es keine ausgelassene Feier, das ist einfach nicht unser Stil. Im Tennis wie auch in anderen Sportarten werden Kinder häufig vom Ehrgeiz ihrer Eltern, meist ihrer Väter, getrieben. Ich hatte Toni. Aber sein drängender Wunsch, dass ich Erfolg haben sollte, wurde durch die gesunde, entspannte Einstellung meines Vaters ausgeglichen. Er war unendlich weit von jenen Eltern entfernt, die durch den Erfolg ihrer Kinder ihre eigenen unerfüllten Lebensträume verwirklicht sehen wollen. An den Wochenenden fuhr er mich zu den Spielen auf ganz Mallorca – wofür ich ihm nicht genug danken kann – und blieb, um mich spielen zu sehen, aber nicht weil er wollte, dass ich ein Star würde, sondern weil er wollte, dass ich glücklich war. Damals kam es ihm nie in den Sinn, dass ich einmal Profitennisspieler werden könnte, geschweige denn, dass ich alles das gewinnen könnte, was ich mittlerweile gewonnen habe.
    Eine Anekdote aus meiner Kinderzeit, die meinem Vater und mir noch lebhaft in Erinnerung ist, verdeutlicht seine Einstellung zu mir, meine Einstellung zum Tennis und den himmelweiten Unterschied, der dazwischen bestand. Sie ereignete sich zwei Jahre, nachdem ich die Balearen-Meisterschaft gewonnen hatte, im September, kurz nach den Sommerferien. Ich hatte einen wunderbaren August mit meinen Freunden verbracht, geangelt, im Meer geschwommen und am Strand Fußball gespielt. Allerdings hatte ich nicht viel trainiert und sollte nun plötzlich an einem Turnier in Palma teilnehmen. Mein Vater fuhr mich wie üblich hin. Ich verlor gegen einen Jungen, gegen den ich eigentlich hätte gewinnen müssen; bis heute erinnere ich mich an das Ergebnis: 3:6, 3:6. Auf der Heimfahrt saß ich totenstill im Auto. Mein Vater, der mich noch nie so finster erlebt hatte, versuchte mich aufzumuntern: »Na komm, das ist doch nicht so dramatisch. Du kannst ja nicht immer gewinnen.« Ich sagte nichts. Er konnte mich nicht aus meiner trüben Stimmung reißen, also versuchte er es weiter: »Guck mal, du hattest einen tollen Sommer mit deinen Freunden. Sei doch froh darüber. Du kannst nicht alles haben. Du bist doch kein Sklave des Tennis.« Er hielt das für ein überzeugendes Argument, aber ich fing an zu weinen, was ihn noch mehr schockierte, weil ich sonst nie weinte. Damals nicht. »Na komm, du hattest doch einen fantastischen Sommer. Reicht das nicht?«, hakte er nach. »Doch, Papa«, antwortete ich, »aber der ganze Spaß, den ich da hatte, kann den Kummer nicht aufwiegen, den ich jetzt habe. Das möchte ich nie wieder erleben.«
    Von dieser Äußerung spricht mein Vater bis heute und wundert sich nach wie vor, dass ich in so jungen Jahren etwas so Einsichtiges und Vorausschauendes geäußert habe. Dieses Gespräch im Auto war seiner Ansicht nach ein prägender Moment, der seine Sicht auf seinen Sohn und mein Bewusstsein für die eigenen Ambitionen im Leben veränderte. Ich

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