RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
häufig vergesse ich Dinge. Meine Konzentration richtet sich ausschließlich auf das bevorstehende Match, wie damals vor einem wichtigen Fußballspiel. Vor meinem inneren Auge stellte ich mir das Spiel vor, die Tore und die Pässe, die ich schießen würde. Ich machte Lockerungsübungen in meinem Zimmer und bereitete mich beinah so intensiv und gespannt vor, wie ich es heute vor einem wichtigen Tennisspiel tue. Rückblickend mag es komisch erscheinen, aber damals bedeutete es mir die Welt und war anfangs für mich wichtiger als Tennis, und das trotz des intensiven Trainings mit Toni, der mir die Überzeugung vermittelte, dass ich eines Tages meinen Lebensunterhalt mit Tennis verdienen würde. Damals träumte ich wie viele spanische Jungen meines Alters davon, Profifußballer zu werden. Obwohl ich auch schon mit sieben Jahren an Tennisturnieren teilnahm und dabei recht gut abschnitt, war ich vor einem Fußballspiel wesentlich nervöser. Vermutlich lag es daran, dass ich nicht allein spielte und mich für meine gesamte Mannschaft verantwortlich fühlte.
Auch wenn alles verloren schien, hatte ich immer blindes Vertrauen in unsere Fähigkeit, Spiele zu gewinnen. Meine Onkel erinnern sich noch gut, dass ich von unseren Siegchancen immer wesentlich stärker überzeugt war als die anderen Jungen der Mannschaft; selbst bei Spielen, in denen wir 5:0 zurücklagen, brüllte ich in der Umkleidekabine: »Nicht aufgeben! Das können wir noch gewinnen!« Einmal verloren wir in Palma 6:0, aber auf der Rückfahrt erklärte ich im Bus: »Macht nichts. Beim Heimspiel gewinnen wir gegen sie.«
Es gab allerdings mehr Siege als Niederlagen. Viele Spiele sind mir noch lebhaft in Erinnerung, vor allem die Saison, als wir die Balearen-Meisterschaft gewannen. Damals war ich elf Jahre alt. Im entscheidenden Spiel traten wir gegen Mallorca an, eine große Mannschaft aus der Inselhauptstadt. Zur Halbzeit lagen wir 0:1 zurück, kämpften uns aber hoch und gewannen 2:1. Ein Elfmeter entschied das Spiel für uns. Ich war in den Strafraum gelaufen, was einen Spieler der gegnerischen Mannschaft zum Handspiel auf der Torlinie provoziert hatte. Normalerweise hätte ich den Elfmeter ausgeführt, da ich der beste Torschütze unserer Mannschaft war, aber ich traute mich nicht. Wenn man mich heute in einem Wimbledonfinale spielen sieht, fragt man sich vielleicht, wieso ich mich damals nicht traute. Aber an meiner Charakterstärke musste ich erst arbeiten. Diese Verantwortung war zu viel für mich. Zum Glück schoss mein Mannschaftskamerad das Tor. Die Freude über diesen Meisterschaftssieg war ebenso groß wie die über den Sieg in einem GrandSlamTennisturnier. Es mag seltsam klingen, aber beides ist durchaus vergleichbar. Damals war es für mich das Größte, was ich anstreben konnte, und war mit der gleichen Aufregung und dem gleichen Triumphgefühl verbunden, nur auf einer kleineren Bühne.
Nach meiner Ansicht gibt es in keinem Bereich des Lebens solch euphorische Gefühle wie bei einem sportlichen Sieg, ganz gleich in welcher Sportart und auf welcher Ebene. Kein Gefühl ist so intensiv oder so überbordend. Und je mehr man einem Sieg entgegenfiebert, umso stärker ist die Euphorie über den Erfolg.
Im Tennis erlebte ich das erstmals mit acht Jahren, als ich die Balearen-Meisterschaft der unter 12Jährigen gewann. Noch heute zählt dieser Sieg zu den wichtigsten meiner Karriere. In diesem Alter ist ein Altersunterschied von vier Jahren eine Ewigkeit; die älteren meiner Altersgruppe erschienen mir wie ferne, höhere Wesen. Zu Beginn des Turniers hegte ich daher nicht die geringste Erwartung, es gewinnen zu können. Bis dahin hatte ich erst ein Turnier gewonnen, und zwar gegen Gleichaltrige. Mittlerweile hatte ich jedoch praktisch jede Woche an fünf Tagen eineinhalb Stunde mit Toni trainiert. Keiner der anderen Jungen, die an dem Turnier teilnahmen, hatte, glaube ich, so viel oder mit einem so strengen Trainer wie ich trainiert. Dank Toni hatte ich wohl auch ein besseres Verständnis des Spiels als andere Kinder. Dadurch war ich im Vorteil, was vielleicht bis heute so ist.
Wenn man sich zwei Tennisspieler beim Training ansieht, die auf den Plätzen 10 und 500 der Weltrangliste stehen, erkennt man nicht unbedingt, wer der besser Platzierte ist. Ohne den Wettkampfdruck bewegen sie sich vergleichbar und schlagen die Bälle sehr ähnlich. Wirklich gut zu spielen bedeutet jedoch mehr, als nur den Ball gut zu schlagen. Es erfordert, die richtigen
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