RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
erinnern sich, dass andere Trainer die Ballkontrolle in den Vordergrund rückten, Toni jedoch immer den Schwerpunkt auf das aggressive Üben von Gewinnschlägen legte. Toni führt gern das Beispiel des Golfspielers Jack Nicklaus an, der jungen Spielern in einem Lehrvideo einmal riet: »Zuerst einmal müsst ihr den Ball weit schlagen; danach könnt ihr daran denken, ihn ins Loch zu bringen.« Diese Lektion nahm Toni sich zu Herzen. Von Anfang an riet er seinem Neffen, der damals erst vier Jahre alt war: »Zuerst einmal lernst du den Ball hart zu schlagen; danach sehen wir zu, dass er drin bleibt.«
Als Nächstes machte Toni sich an die anspruchsvollere Aufgabe, einen mental für Wettkämpfe gerüsteten Spieler aufzubauen. Er fing so an, wie er auch weiterzumachen gedachte: Er behandelte seinen Neffen in Gegenwart Gleichaltriger offen ungerecht und erwartete von ihm, sich nicht zu beklagen. Die Jungen, die mit Rafa Nadal trainierten, erinnern sich noch heute, dass er den Kopf senkte und tat, was von ihm verlangt wurde, wenn Toni ihm beispielsweise die Anweisung zubrüllte, nach dem Training die Bälle aufzusammeln und den Platz abzuziehen. Trainierten die beiden allein und die Sonne schien gleißend auf eine Platzhälfte, schickte Toni Rafa immer genau auf diese Seite. Trainierten sie zu Beginn der Stunde mit guten, kräftigen Schlägen, spielte Toni unvermittelt mit einem schlechten Ball, der unberechenbar wegsprang oder kraftlos kaum vom Boden hochsprang. Wenn sein Neffe sich beschwerte, erklärte Toni: »Die Bälle sind vielleicht drittklassig, aber du bist viertklassig.«
Nach Tonis Ansicht behandelte er Rafa zu dessen eigenem Besten so ungerecht, wenn er etwa mit ihm Tennis spielte und vereinbarte, dass derjenige gewann, der als Erster 20 Punkte erzielte. Er ließ das aufgeregte Kind 19 Punkte erreichen, bevor er sein Spiel umstellte, seinen Neffen schlug und ihm den Tag verdarb, als er seinen kleinen Sieg schon fast genießen wollte. Die moralischen Tiefschläge und die unerbittlich harte Disziplin, die er Rafa abverlangte, dienten einem strategischen Ziel: sein Durchhaltevermögen zu fördern.
Toni selbst hatte dagegen ein widersprüchliches Verhältnis zum »Durchhaltevermögen«. Ihm und seinem Bruder Sebastián hatte man die Tugend des Durchhaltens in ihrer Jugend beigebracht, als sie in Palma, eine Autostunde von Manacor entfernt, im Internat waren. Der Schulleiter predigte den Schülern ausgiebig die Vorzüge, unvermeidliche Prüfungen und Enttäuschungen des Lebens mannhaft zu ertragen. Die unmittelbarste Prüfung, der die Brüder ausgesetzt waren, bestand allein schon in der Tatsache, fern von ihrer eng verbundenen, fürsorglichen Familie im Internat zu leben. Sebastián blieb bis zum Ende der Schulzeit dort. Toni bat seine Eltern nach einem Jahr, ihn wieder nach Hause zu holen, was sie auch taten. Später studierte er Jura und Geschichte, brach das Studium aber ohne Abschluss ab. Nachdem er seine Bestrebungen aufgegeben hatte, ein erfolgreicher Profitennisspieler zu werden, kehrte er nach Manacor zurück und trainierte die Kinder im Tennisclub der Stadt.
Dort ließ er sich auch nieder, da er endlich seinen Beruf gefunden hatte. Durch unglaubliches Glück hatte er zudem einen Neffen mit Enthusiasmus und Talent, wie er es zuvor noch bei keinem anderen Kind entdeckt hatte und wohl nie wieder finden sollte. Rafas Art, den Ball zu schlagen, sein natürliches Gespür für die richtige Position und seine Willensstärke brachten Toni bald zu der Überzeugung, dass er es mit einem potenziellen Champion zu tun hatte. Das Schicksal hatte an die Tür der Familie geklopft, und er würde das Beste daraus machen, die Lehren aus seinen eigenen Fehlern ziehen, seinen Neffen zum Gewinner formen und ihm helfen, eine Zukunft aufzubauen, in deren Glanz er sich dann ebenfalls sonnen könnte.
Rafas Erfolg war für Toni eine nicht zu unterschätzende Bestätigung und Ermutigung, seine Ansichten unverblümt zu äußern und in seinen Überzeugungen ebenso streng zu sein, wie ein Katholik am spanischen Hof zu Cortés Zeiten. Allerdings sucht er keinen Trost im Leben nach dem Tod oder in einem gnädigen Gott. Er ist kein Katholik und vertritt, eisern wie in allen anderen Dingen auch, die Meinung, Religion sei Schwäche und Unsinn. Den Glauben an Gott tut er als primitiven Aberglauben ab, der ebenso infantil ist wie der frühere Glaube seines Neffen, sein Onkel könne Regen machen.
Unerbittlich doktrinär ist Toni hingegen in
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