RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
verlöre, wäre er nur noch zwei Punkte vom Wimbledon-Sieg entfernt. Tatsächlich verlor ich den nächsten Punkt durch einen glücklichen Netzroller von Federer.
Beim Stand von 40:30 entspann sich einer der besten Ballwechsel des Matchs. Ich spielte meinen Aufschlag weit auf seine Rückhand, er returnierte tief und gut auf meine Vorhand. Ich trieb ihn zurück, aber er schlug einen starken Rückhand-Cross, den ich mit einer ebenso starken Longline-Vorhand beantwortete. Er erreichte den Ball gerade noch, hatte aber keine andere Wahl, als einen unbeholfenen Vorhand-Slice zu spielen, der knapp übers Netz ging. Meinen flachen Topspin weit auf seine Rückhand konnte er nur mit einem Lob beantworten, den ich eigentlich mit einem Schmetterball in einen Punkt hätte verwandeln müssen, aber irgendwie erreichte er ihn noch und spielte einen hohen, langsamen, aber besseren Lob, der mich zwang, zurückzuweichen und einen weniger durchschlagenden Schmetterball zu spielen, einen kontrollierten mit Schnitt nach dem Aufprall – wie bei einem zweiten Aufschlag. Auch diesen Ball erreichte er und antwortete mit einem Rückhand-Slice in die Feldmitte. Ich lief zum Ball und verwandelte ihn mit der geballten Kraft der Vorhand und dem gesamten Topspin, den ich ihm mitgeben konnte, in einen unerreichbaren Winner tief in seine Vorhandecke: 7:7. Es war für mich der bis dahin euphorischste Moment des Matchs. Ich hob mein linkes Knie, reckte die Faust in die Luft und brüllte triumphierend. Ein Schub an Energie und neuem Selbstvertrauen erfüllte mich, und ich dachte: »Los jetzt!«
Das Match war wieder völlig offen. Aber noch hatte ich keine Siegesvision. Noch immer nahm ich einen Punkt nach dem anderen in Angriff. »Mein Rhythmus ist gut, meine Beweglichkeit ist gut, und ich spiele mit Überzeugung«: genauso fühlte ich mich. Und beim Stand von 7:7 hatte ich den Eindruck, dass nun wirklich der Zeitpunkt für einen Vorstoß gekommen war, das Match zu holen. Der Enthusiasmus war auf meiner Seite, und ich sollte meine Chance nutzen. Dieses Spiel musste ich gewinnen.
Beim ersten Ballwechsel, bei dem Federer Aufschlag hatte, machte ich da weiter, wo ich bei meinem Aufschlagspiel aufgehört hatte, und holte den Punkt mit einem Vorhand-Cross-Winner, bei dem er nur in die Luft dreschen konnte. Anschließend schlug er eine Vorhand ins Netz, und ich lag 30:0 vorn. Wieder eine große Chance. Aber ich bin keine Maschine, keine Lokomotive. Und beim nächsten Ballwechsel beging ich einen dummen Fehler. Ich entschied mich für einen Rückhand-Slice, als ich einen Drive hätte spielen sollen. Ausgerechnet in diesem Sekundenbruchteil regten sich in meinem Kopf leise Zweifel, und prompt verlor ich den Punkt. Die Angst vor dem Sieg. Allerdings nicht so schlimm wie beim letzten Mal. Meine Beine zitterten nicht, sondern fühlten sich kräftig an.
Seinen nächsten Aufschlag returnierte ich tief und holte den Punkt mit einem kraftvollen Rückhand-Cross-Winner. Ich drehte meine Handgelenke, steuerte den Ball mit der rechten Hand und verlieh ihm mit dem linken Arm Schwung – ein Schlag, den ich praktisch zeitlebens trainiert hatte und im Augenblick der Wahrheit perfekter denn je ausführte. Nun hatte ich zwei Breakbälle, und meine größte Befürchtung war nicht etwa, dass ich versagen könnte, sondern dass er noch mehr von seinen großartigen Aufschlägen aus dem Hut zaubern würde. Genau das tat er. Ein Ass, danach noch ein toller Aufschlag. Ich rutschte auf dem Gras aus, verlor meine Koordination, und wieder waren wir beim Einstand.
Das hatte ich vorher schon erlebt. Immer wieder. Dieses Spiel entwickelte sich zu einer Miniaturausgabe des gesamten Matchs. Ich ging in Führung, er kämpfte sich immer wieder zurück und weigerte sich, unterzugehen. Aber noch immer machte er mehr Fehler als ich, so auch beim nächsten Ballwechsel, bei dem ihm eine Vorhand viel zu lang geriet, sodass ich nun Vorteil hatte. Wir waren beide am Rande unseres Durchhaltevermögens, aber körperlich und mental war er ausgelaugter als ich. Allerdings hatte er nach wie vor seinen Aufschlag, und prompt kam ein weiterer unhaltbarer Ball, den ich nur mit der Schlägerkante erwischte. Aber sobald ich einen ordentlichen Aufschlagreturn schaffte und ein Ballwechsel in Gang kam, gewann ich die Oberhand. Als Nächstes vergab er zwei Punkte an mich durch zwei vermeidbare Fehler, eine zu kurze und eine zu lange Vorhand.
Und endlich hatte ich das Break. Es stand 8:7 und ich hatte Aufschlag
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