Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
seiner Position aus konnte er die huschenden Schatten der sechs Oni-Krieger sehen, die den Chor bildeten. Auch sie nahmen eine verborgene Position hinter einer mit Seidenpapier bespannten Stellwand ein, auf die ein Baum in Original-größe gezeichnet worden war.
»Er war immer leichtsinnig. Wenn er bei Kariyana geblieben wäre ...«
»Das konnte er nicht. Weil er weggerufen wurde.« Chiyo senkte den Blick. Erstaunt bemerkte Naburo, wie traurig und alt die junge Elfe plötzlich wirkte. »Manchmal denke ich, die Tenna weiß das alles. Sie weiß, dass Torio unschuldig ist. Weil sie es selbst war, die ihn damals zu sich rief und ihn von seinem Dienst fernhielt. Sie sieht ihn manchmal so sonderbar an – in einer Mischung aus Hass und Verlangen und ... Schuld. Soweit sie in der Lage ist, Schuld zu empfinden.«
Naburos Augen weiteten sich. »Chiyo, das ist Unsinn!«, flüsterte er aufgeregt. »Die Tenna hätte sich niemals dermaßen unter ihrem Stand vergnügt.«
»Ach ja?« Chiyo lachte leise auf. »Da kennst du sie aber schlecht. Ich lebe mit ihr im Haupttrakt und weiß, wer sich alles in ihrem Bett tummelt.«
Naburo spürte, wie sein Gesicht brannte. Er wollte nichts Verwerfliches über seine Herrscherin hören. Er war ihr treu ergeben und hätte Chiyo gerne den Mund verboten. Doch sie war eine Prinzessin. Dass er ihr überhaupt so viel sagen durfte, lag nur daran, dass er ein General war und sie noch sehr jung.
Chiyo ist gutmütig und viel wärmer als ihre Mutter. Ich denke, sie leidet an dieser kalten Ferne, die zwischen Mutter und Tochter liegt
.
»Ich ...« Chiyo verkroch sich noch tiefer in sich selbst, als es in ihrer Situation nötig gewesen wäre. »Ich denke manchmal ... dass Torio mein Vater ist ... Und dann ... dann wieder nicht. Weil ich ... weil ich ihn will, Naburo. Verstehst du das?«
Naburo schloss die Augen. »Chiyo, Torio ist bestimmt nicht dein Vater.«
»Weißt du das? Was, wenn die Tenna ihn in jener Nacht wirklich zu sich rief? Wenn ich gezeugt wurde, als meine Schwester starb? Vielleicht sind all die düsteren Legenden wahr, und ...«
Sanft packte er ihre Schultern. »Chiyo«, sagte er leise und eindringlich. »Es mag sein, dass die Tenna selbst Torio zu sich rief. Aber du bist nicht seine Tochter. Dein Vater war ein Elf, der im letzten Krieg starb. Die Tenna redet nicht über ihn, sie hat ihn mir gegenüber nur einmal erwähnt. Sie schien ihn zu vermissen. Er war ein herausragender Krieger, aber sehr viel älter als Torio.«
In Chiyos Augen traten Tränen. »Dann ... dürfte ich mich Torio hingeben?«
Naburo berührte das vertrocknete Cairdeas an seinem Handgelenk. Er wusste, was in Chiyo vorging. Einerseits wollte er ihr gerne sagen, sie solle sich Torio aus dem Kopf schlagen. Andererseits verstand er ihre Gefühle. Chiyo war einfühlsamer als die meisten Elfen am Hof, und wenn sie tatsächlich glaubte, dass die Tenna Torio in jener Nacht zu sich gerufen hatte, war Torio für sie unschuldig.
Und für mich?
Naburo fiel es schwer, mit Veränderungen umzugehen. Auch mit Veränderungen im Denken. Hatte er seinem Bruder unrecht getan? War dies die Zeit der Vergebung? Seit Jahrhunderten zürnte er dem Uragirmon. War es nun so weit, den alten Zwist zu beenden?
»Ja«, flüsterte er kaum hörbar. »Ja, du dürftest dich Torio hingeben.«
Chiyo lächelte.
Er ließ sie los. »Aber jetzt, Chiyo, solltest du dich ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren. Es ist dein erster richtiger Kampf. Du warst nicht im Krieg, und du brauchst deine Sinne beieinander.«
Chiyo nickte eifrig. »Ich werde alles so machen, wie du es gesagt hast, General.«
In diesem Moment wurde das Licht im Saal gedimmt. Das Gemurmel im Zuschauerraum ebbte ab. Einige husteten kurz auf, andere räusperten sich. Naburo hörte, wie sie in ihren rot bespannten Sitzen ihre Positionen änderten. Erwartungsvolle Stille senkte sich über das Theater.
Es geht los
, dachte der Elfenkrieger angespannt. Wieder lagen seine Hände auf den beiden Dolchen.
Alles Gute, Nadja. Hoffen wir, dass uns die Göttin gnädig ist
.
Nadja berührte die Maske vor ihrem Gesicht. Sie spürte die Kraft des nahen Ley-Knotens mit der magischen Maske überdeutlich. Auch die Anwesenheit der Oni-Krieger und des Halbgottes Karkino war wie ein beständiger dunkler Schleier, der über allem wehte. Sie stand auf ihrer Position hinter einer bespannten Papierwand. Vor sich hörte sie Karkino auf der Bühne sprechen., die Vorstellung hatte gerade begonnen.
Ganz in
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