Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
Ritual auf. Sie opferte ihren Atem, den Klang ihrer Stimme, die Bewegungen, die Chiyo sie gelehrt hatte. Sie wurde ganz zu einem Gefäß der Göttin, bereit, sie in sich aufzunehmen, sie zu tragen.
Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie wahr, dass die Oni-Krieger sich ihr näherten und Karkino sie mit einer Geste seiner Hand aufhielt. Er sagte etwas in seiner Sprache, doch die Worte waren zu weit fort. Einzig seinen gehässigen Gesichtsausdruck sah Nadja, der ihr Scheitern prophezeite. Die Wut über seine Überheblichkeit beflügelte sie. Sie sang nun laut, mit einer Stimme, die nicht die ihre war. Dafür war sie viel zu schön, die Töne saßen perfekt; etwas sang für sie, rief für sie die Göttin an, nahm sie schützend an der Hand wie ein gütiger Vater sein Kind. Ein wohliges Gefühl hüllte Nadja ein. Schon sah sie einen goldenen Schein, der aus der Anderswelt zu ihr strömte, über das vermeintliche Portal, das die Maske ihr zeigte. Friede und Harmonie näherten sich. Das gehässige Gesicht von Karkino verschwamm vor ihrem Blick. Nadja war, als sei sie ein Vogel, der sich in die Lüfte erhob, um zu fliegen.
Dann hatte sie das Ende der Litanei erreicht und konnte ihr Glück nicht fassen. Nur noch drei Worte, und Karkino ließ sie gewähren. Wilder Triumph stieg in ihr auf. Sie flog höher, schwebte der Sonne entgegen und sah dort ein Gesicht von solcher Schönheit und Pracht, dass sie die Augen schließen musste. Es war das der Göttin, die langsam ihre Augen öffnete.
Doch etwas veränderte sich. Hatte Karkino es gespürt? Erschrocken fühlte Nadja mehr, als dass sie es hörte, dass das letzte Wort
falsch
war! Ganz entsetzlich falsch! Quoll zuvor goldenes Wasser aus der Quelle, wurde es nun schwarz und brackig, roch giftig und verätzte ihre Gedanken. Etwas zerrte an ihr, riss ihren Geist auf die Bühne zurück. Ihr Flug endete. Sie stürzte ab! Verzweifelt sah Nadja in die spöttischen Augen von Karkino. Der Halbgott lachte. Nadja fühlte, wie die vertrauensvolle Hand der ihren entrissen wurde. Sie fiel auf die Bühne zurück und in ihren Körper, der nicht mehr der ihre war. Etwas saß in ihrer Brust und ließ sie die Hände in die Höhe reißen. Sie spürte die Maske auf ihrer Haut, fühlte, wie sich das magische Artefakt in ihr Gesicht krallte.
Ein Dämon
, erkannte Nadja voller Grauen. Sie wollte aufschluchzen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Das eine Wort hatte alles verfälscht, alles verdorben. Nadja hörte das zufriedene Summen der venezianischen Maske, die sie verraten hatte.
Sie war es! Sie hat mich dazu verführt, ihr zu vertrauen! Sie hat mich jenes unsägliche Wort sagen lassen, das einen bösen Geist heraufbeschworen hat!
»Hilfe!«, brachte sie hervor, dann gehörte ihr auch ihre Stimme nicht mehr. Sie war Gast in ihrem Körper, beseelt von einer unsagbar bösen Macht, die sich an die Zuschauer wandte.
»Eure Leben gehören mir«, verkündete eine düstere Stimme in einer fremden Sprache. Nadja verstand sie ohne Probleme. Ein letztes Mal gehorchten ihr ihre Hände. Sie riss an der Maske, versuchte sie herabzunehmen, doch die Maske saß fest auf ihrer Haut und ließ sie nicht los.
Ich werde wahnsinnig!
Sie hörte, wie Chiyo einen erschrockenen Ruf ausstieß. Die Elfen der Tenna sprangen von einem verborgenen Hebekran aus auf die Bühne, während der Shishi aus einem anderen Versteck hervorbrach. Sie versuchten zu Nadja zu gelangen, doch nun richteten sich die Oni-Krieger gegen sie.
Zu spät
, dachte Nadja mit Tränen in den Augen.
Wir haben verloren. Der Dämon wird uns vernichten
.
Tom faltete die Hände und presste die Finger fest gegeneinander. Er stand vor der geöffneten Tür eines Schminkraumes, in dem die Zwillinge wie reglose Schaufensterpuppen auf rot bespannten Stühlen saßen. In dem Raum befanden sich einer der Oni-Krieger sowie die beiden Damen, die Nadja zuvor geschminkt hatten.
Sie bereiten die Zwillinge auf ihren Auftritt vor, und von Cagliostro ist weit und breit nichts zu sehen
.
Der Magier besaß einen eigenen Raum und arbeitete vermutlich auf das Ritual hin, mit dem die Energien der Zuschauer in das magische Gefäß unter der Bühne geleitet wurden.
Mit ruhigen Händen schminkten die beiden Japanerinnen die Zwillinge, zogen Lippenstift nach und setzten Kajalstriche. Der wachsame Blick des Oni-Kriegers war dabei auf die beiden Elfen gerichtet.
Vorsichtig zog Tom sich ein Stück zurück.
Wenn die Japanerinnen aus dem Raum gehen, dann ...
Er schloss die
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