Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
anderen Kalibern aufgenommen. Königen, Göttern, Mächtigen ... Such es dir aus. Für mich bist du nur einer von vielen, Tenji.«
Die Wut, die in seinen Augen aufblitzte, nahm ihr jegliches Lampenfieber und erfüllte sie mit befriedigter Gelassenheit. Sie, ein sterblicher Mensch, pinkelte einem Halbgott ans Bein und brachte ihn aus der Fassung. Schon oft hatte sie an einem solchen Punkt gestanden und dabei manchmal weit weniger in Händen gehabt, keine Unterstützung. Sie drehte ihm den Rücken zu und ging hinter die Bühne.
Ihr Auftritt war im ersten der drei Kurzstücke. David und Rian waren mit Cagliostro im zweiten Stück zu sehen. Auch sie mussten sich in einem der unteren Zimmer befinden und nicht in Cagliostros Wohnflucht im dritten Stock, denn unten bereiteten sich die Darsteller vor. Niemand wollte mit allen Requisiten und den schweren Gewändern durch das ganze Theater laufen.
Nadja wurde von zwei hübschen Japanerinnen in Empfang genommen, die ihr gänzlich fremd waren. Ihre Aufgabe war die Maske, und sie halfen Nadja in einen weiten weißen Kimono, der so schön war, dass Nadja vermutlich vor Staunen der Mund offen gestanden hätte, wäre sie nicht so sehr mit sich und dem Kommenden beschäftigt gewesen.
Da sie nicht wusste, ob Cagliostro nicht ebenfalls in den Räumlichkeiten hinter der Bühne wartete, setzte sie ihre Elfenmaske auf. Sie hoffte, dass die Maske sie bei der Anrufung Amaterasus unterstützen würde. Wenn sie erst über der Ley-Linie stand, würden ihre Kräfte wachsen; dann konnte sie das Unmögliche wagen.
Tom kam zu ihr. Tenji hatte ihn nicht daran gehindert, ebenfalls an das Theater zurückzukehren.
Tenji hat einen typischen Götterkomplex. Er hält sich für unfehlbar
.
Der Journalist wartete neben ihr, bis die Japanerinnen mit dem Schminken und Frisieren fertig waren. Er schluckte sichtlich. »Du siehst ... einfach hinreißend aus.«
Die beiden Visagistinnen verließen das kleine Zimmer. Tom nahm sich einen rot bespannten Samtstuhl und setzte sich dicht neben Nadja. »Die Elfen sind bereit«, flüsterte er. »Ich werde zusehen, dass ich die Zwillinge aus der Kampflinie halte. Sie sind auch hier unten, hinter der Bühne.«
»In Ordnung. Versuche, sie aus dem Theater herauszubringen«, gab Nadja leise zurück. »Wenn ich Erfolg habe, wird hier das Chaos ausbrechen.«
Er nickte.
Nadja hatte Angst um die Zuschauer. Was würde Amaterasu mit dem Nachkommen Susanoos tun? Würde sie Rücksicht auf die Sterblichen nehmen, die im Zuschauerraum saßen und keine Ahnung hatten, was hier vor sich ging?
Tom drückte mit einer Hand ihren Oberarm. »Egal, wie das hier endet, Nadja – ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Dich und ... alles andere.«
Ihr Hals fühlte sich dick und taub an. Das Sprechen fiel ihr schwer.
Falls Tom stirbt, werde ich mir bis an mein Lebensende Vorwürfe machen, ihn in diese Sache hereingezogen zu haben
.
»Danke, Tom.« Sie hätte ihn gerne umarmt, doch in ihrem teuren Gewand, weiß geschminkt im Gesicht, am Hals und auf den Schultern, wagte sie es nicht.
Stattdessen nickte sie Tom zu und blickte in den Spiegel des Raumes. Sie erkannte sich nicht wieder. Wie der Geist einer Braut in einem weißen, kostbaren Gewand sah sie aus, eine skurrile Mischung aus Osten und Westen. Ihre Maske war venezianisch, das kastanienbraune Haar kunstvoll aufgesteckt und mit zahlreichen weiß blitzenden Spangen und Nadeln versehen, die wie Raureif glitzerten. Die Teile des Gesichts, des Halses und der Schultern, die man sehen konnte, waren schneeweiß geschminkt und mit zartem Glitzerpuder bestäubt. An ihren Ohren baumelten lange Ohrringe, die mit winzigen Kristallen besetzt waren. Ihr Kimono hatte einen typisch japanischen Schnitt mit weiten Ärmeln und weitem Rock. Auf der matt schimmernden Seide der obersten Schicht zogen sich silberne und goldene Stickereien aus Frühlingsblüten dahin. An den Füßen trug sie Getas, Holzschuhe mit hohem Absatz, die sie größer machten. Ihre Augen in der Maske waren kunstfertig geschminkt und wirkten, als sei sie ein ätherisches Wesen aus einer anderen Welt. An den Händen trug sie lange weiße Handschuhe.
Tom sah sie aufmunternd an. Sie lächelte mit dunkelblau geschminkten Lippen, auf denen ebenfalls eine glitzernde Schicht lag.
»Wir schaffen das«, sagte er und verbarg seine Angst. Dann ging er.
Also gut
. Noch einmal ging sie in Gedanken das Lied durch, summte kaum hörbar die Töne, die Chiyo ihr vorgesungen hatte, und
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