Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
bemühte sich, alle Zweifel zu verdrängen. In wenigen Minuten war es so weit. Im Geist sah sie bereits den vollen Zuschauerraum, die vielen erwartungsfrohen Blicke der begeisterten Menge.
Heute Abend wird ihnen etwas geboten werden, was sie mit Sicherheit noch nie gesehen haben
.
Nadja öffnete die Augen und stand langsam auf. Es war Zeit, ihre vorgeschriebene Position hinter der Bühne einzunehmen. Ihre Hand berührte den kleinen weißen Beutel, den sie sich unter dem weiten Kimono um den Arm gebunden hatte. Darin lag der Siegelring Chiyos, der helfen sollte, die Göttin Amaterasu milde zu stimmen. Ein letztes Mal erlaubte Nadja sich, ausführlich an David zu denken und ihn sich in allen Einzelheiten vorzustellen. Dann dachte sie nur noch an das Lied und die Aufgabe, die vor ihr lag.
Naburo zog Chiyo auf einen kleinen Hebekran am Rand der Bühne. Die Seitenwand hatte an dieser Stelle eine Vertiefung, in welcher der Kran stand. Auf diesem entschwebte die Fee im dritten Stück in den Himmel. Während der ersten Aufführung wurde er nicht gebraucht. Ein großes weißes Tuch, das von der Decke bis zum Boden wallte, verbarg die beiden Elfen und den Kran vor den Blicken der Zuschauer. Naburo konnte hören, wie die Menschen in den Saal strömten und ihre Sitzplätze einnahmen. Das Theater füllte sich rasch. Aus den Lautsprechern klang Musik, und die Geräuschkulisse war hoch genug, dass er sich leise mit Chiyo unterhalten konnte, ohne befürchten zu müssen, gehört zu werden.
»Sie werden den Menschen sicher auch heute Energie wegnehmen«, sagte der Elfenkrieger leise.
Chiyosana kletterte neben ihm den Kran hinauf. Es gab eine ein mal ein Meter lange Plattform, die gehoben und gesenkt werden konnte. Weiße Tücher und Papierwände versperrten den Zuschauern im Falle eines Einsatzes den Blick auf die Mechanik. Außer dem Kran befanden sich mehrere Haltekonstruktionen an der Decke vor dem großen geschwärzten Oberlicht über den Zuschauern, um Menschen oder Elfen an unsichtbaren Seilen herunterzulassen. In normalen Theatern waren diese Seile dem Hintergrund angepasst und verschmolzen optisch mit ihm. Auf dieser Bühne waren die Seile tatsächlich unsichtbar, durch einen speziellen Stoff, der über ihnen lag. Es war kein guter Zauber, und ein Elf durchschaute ihn sofort. Die Zuschauer allerdings sahen die Seile nicht.
»Es wäre interessant zu wissen, wo dieses magische Gefäß ist«, flüsterte Chiyo. Sie hatten die Plattform erreicht und kauerten sich darauf nieder. Naburo berührte die beiden verborgenen Schwerter an seiner Seite. Er trug sie als Dolche getarnt bei sich und konnte sie mit wenigen magischen Worten vergrößern. Tenjis Elfen hatten sie ihm bisher nicht abgenommen.
»Ja.« Naburo streichelte über die Dolche. »Wenn wir das Gefäß zerstören, wäre der Tenna sehr geholfen. Ohne die gesammelte magische Energie sind unsere Feinde nur halb so mächtig.«
Die Prinzessin schielte zum seidenbespannten Geländer der Plattform hinauf. Von dort aus waren die Zuschauer zwar nicht zu sehen, aber man erkannte einen großen Teil der Bühne. Ihre Position war ideal, um auf die Bühne hinabzuspringen und Nadja zur Seite zu stehen, falls Tenji ihr seine Oni-Krieger auf den Hals hetzte. Kush hatte sich ganz in der Nähe, auf der anderen Seite der Bühne, hinter einem Vorhang versteckt. Mit seinen vier Pfoten schaffte er es nicht auf den Kran hinauf.
»Ich wünschte, Torio wäre hier«, murmelte die Prinzessin.
Naburo sah sie düster an. »Warum musst du ihn beim Namen nennen?«
»Warum du nicht? Wäre es dir wirklich lieber gewesen, sie hätten damals meine Schwester
und
Torio getötet?«
Er seufzte. »Sie hätten Torio nicht getötet. Du hast ihn noch nie schießen sehen, Chiyo. Die Tenna nahm ihn als Leibwächter, weil er der Beste ist. Mit einem Bogen in der Hand ist er unschlagbar. Seine Pfeile kommen wie das Gericht der Götter über seine Feinde. Er schießt pro Herzschlag zwei oder drei ab, wenn er erst warm ist, und seine Reflexe waren immer besser als meine. Ich bin mir sicher, dass er früher, als wir vorübergehend in der Menschenwelt in China lebten, all die Legenden angeregt hat, die heute als Filme umgesetzt werden. Legenden über fliegende Krieger, die mit Schwertern und Pfeilen durch die Lande ziehen und sich in politische Intrigen einmischen.«
»Du bewunderst ihn. Und du magst ihn noch immer, das spüre ich. Warum kannst du ihm nicht vergeben?«
Naburo richtete sich ein wenig auf. Von
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