Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
lasst ihr hier, und wenn es irgendwie geht, verbergt eure langen Ohren!« Sie reichte den Elfen eine der Chipkarten für das IB. »Geht einkaufen, erkundet Tokio, geht meinetwegen zum Friseur, aber bitte ohne aufzufallen! Capito?« Die letzten Worte brüllte sie, war am Ende ihrer Geduld.
Wieder nickten die Elfen. Sie sahen betreten zu Boden, und Nadjas Zorn verrauchte augenblicklich. Das war ihr erster Ausflug in die Menschenwelt, und natürlich war ihnen alles fremd. Die meisten Wesen aus der Anderswelt, die ihr begegnet waren, hatten sich durch eine kindliche Naivität und Begeisterungsfähigkeit gegenüber allen Aspekten dieser Sphäre ausgezeichnet. Wie konnte sie ihnen da böse sein?
Naburo nahm die Karte und ließ sie irgendwo in seiner weiten Gewandung verschwinden. »Sei ohne Sorge, Nadja. Ich passe auf.«
Die beruhigende Wärme, die in seinen Worten lag, ließ sie noch verzweifelter an David denken.
»Gut«, sagte sie erschöpft und sah zu, während die Tür hinter den Elfen zufiel. Wie erschlagen sank sie auf das niedrige Futonbett auf den Reisstrohmatten. Ruhe. Endlich Ruhe. Nadja schloss die Augen.
Zwischenspiel
Verzweiflung
Das Sitzen war unendlich anstrengend. Die Dunkle Königin hatte die Hände über Kreuz gelegt und umschloss mit den Fingern ihre Gelenke. Rote Blutstropfen sickerten durch ihre Haut, liefen über die hellen Nägel und tropften auf ihr blassblaues Gewand mit den zahlreichen Stickereien und Zierbändern.
Verloren, fortgerissen, verirrt ... ja, verirrt. Irgendetwas muss geschehen sein ... Aber nein ... NEIN! Er kann nicht tot sein, nicht er; nicht vergangen, nicht unwiederbringlich verloren ... Nein, nicht er ...
Unruhig sah sie sich in ihrer Zimmerflucht um. Die Wände des Turms schienen näher zu rücken. Der schützende Bergfried, der wie das Schreibenhorn eines Einhorns über den grünen Tälern Taras aufragte, war für sie zu einem zweiten Gefängnis geworden.
Meine Freiheit. Endlich habe ich sie. Doch was ist sie ohne ihn?
Niemals zuvor hatte Bandorchu deutlicher erkannt, wie abhängig sie von dem Geschöpf war, das ihre Untertanen flüsternd den Getreuen nannten. Selbst nach ihrem Sturz in die Vergangenheit Irlands nicht. Er war mehr als ein höriger Diener, war ein Teil von ihr. Sie verstand nicht, was genau sie verband, und das machte sie rasend. Seitdem er fort war – sehr weit fort! –, wurde sie schwächer und schwächer. Mittlerweile schaffte sie es kaum noch, sich vom Bett zu erheben.
Aber sie war Bandorchu! Mächtiger als je zuvor hatte sie sich aus der Dunkelheit des schrecklichen Schatten-lands in das Licht der Menschenwelt erhoben und sich dort ein neues Reich erschaffen. Nun beherrschte sie fünf bedeutende Ley-Knoten.
Dennoch schien alles vergebens zu sein, weil der Getreue nicht mehr war, vernichtet vielleicht für immer. Und er hatte ihre Kraft mit sich in seinen Abgrund gerissen.
Zitternd stand Bandorchu auf und trat an das helle Fenster, das ihr einen weiten Blick über das Land gewährte. Ihr neues Domizil lag auf den grünen Hügeln Taras und war eine Mischung aus Schloss und Burg, wehrhaft und sinnlich zugleich. Übermannshohe Mauern zogen sich um ihren Bergfried, den stolzen Einhornturm. Abwehranlagen und Bollwerke in tief gestaffelten Reihen wuchsen in den wolkenübersäten Himmel und schützten ihn und die innersten Gebäude. Sie waren fast vollendet, neun Türme ragten bereits in die Lüfte. Überall wehten dunkle Banner, als wollten sie der Königin im Wind höhnisch zuwinken.
Bandorchus Beine waren schwach. Es würde der Tag kommen, an dem sie nicht mehr laufen konnte.
»Nicht mehr laufen! Ich!« Die Königin wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Ihre Finger klammerten sich an das breite Fensterbrett aus schwarzem Stein.
»Nein, ich kann nicht mehr. Ich vergehe. All meine Pläne, meine Sehnsucht nach dem Thron Earrachs ... alles liegt in Trümmern ...«
Zwar wurde an ihrer Festung weiter gebaut, und es trafen nach wie vor Versorgungsgüter ein, doch was waren all die Vorbereitungen, Verteidigungswälle und Schutzzauber wert, wenn sie dabei dahinschwand?
Wie kann es sein, dass ich ohne ihn so schwach bin?
Auf Island, am Tage Ragnaröks, hatte der Getreue sich in den Vulkan gestürzt, um den erwachenden Loki aufzuhalten. Hatte der Gott ihn noch im Sturz gerichtet, bevor er selbst unterging?
»Nein, nicht tot. Du kannst nicht tot sein. Nicht vergangen, nicht du!«
Wieder durchstieß ihr Geist die Sphären, losgelöst von Zeit
Weitere Kostenlose Bücher