Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
Sie konnte einen hohen Berg erkennen, der sich im letzten Licht des Tages hinter der Stadt erhob. Seine Spitze war weiß von Schnee.
Der Fujiyama
.
Nadja rieb sich die Stirn, hatte nicht einschlafen wollen. Hastig sah sie sich um, fand aber keine Spur von den Elfen. Obwohl sie keine Wechselwäsche hatte, nahm sie eine Dusche. Danach aß sie eine Kleinigkeit in einem der Restaurants im obersten Stockwerk. Dort war der Ausblick sogar noch beeindruckender. Auf der linken Seite schimmerte die Bucht von Tokio zwischen den Hochhäusern hindurch. Nadja hatte im Fernsehen gesehen, dass auf einer der Inseln die nachgebaute Freiheitsstatue stand.
Das Essen war schnell vorüber, und keine zwanzig Minuten später befand sich Nadja bereits auf dem Weg zur Rezeption. Sie musste nicht lange auf die Elfen warten. Irgendwie hatten die drei es geschafft, einen Nebeneingang zu finden und zum Aufzug zu gelangen. Dort stritten sie sich lauthals über die richtige Verwendung der Chipkarte, mit der sich der Fahrstuhl bedienen ließ.
Wahrscheinlich haben sie die Karte für den Eingang gar nicht benötigt
. Schlösser konnten Elfen nicht aufhalten, Technik dagegen schon. Nadja musste lächeln, als sie sich ihren Begleitern aus Bóya näherte. Die drei trugen halbwegs passable Kleidung, in der sie noch mehr wie Filmstars oder Models wirkten. Chiyo war über und über mit funkelnden Strasssteinen behängt. Wie Rian schien auch sie diese blitzenden Accessoires zu lieben. Allerdings hatte Rian wesentlich mehr Geschmack in der Verteilung der Steine bewiesen.
Drei verschiedene Ketten hingen um Chiyos Hals, dazu trug sie lange Ohrringe und einen funkelnden Haarreif, der in ihrem aufgesteckten schwarzen Haar wie eine Krone wirkte.
Unauffällig werden diese drei wohl nie werden. Aber zumindest sehen ihre Ohren rund aus
.
Naburo und Torio trugen einfache Geschäftsanzüge, und Kush hatte ein dunkelgrünes Seidenhalsband um den faltenreichen Hals gebunden, das er immer wieder zu beschnüffeln versuchte.
»So herum!«, riet Chiyo entschieden.
Nadja trat heran und nahm ihr die Karte aus der Hand. »Siehst du dieses Schriftzeichen? Das muss zum Einsteckschlitz zeigen.«
Chiyo lächelte sie an. »Okay. Danke, Nadja. Tokio ist großartig! So viele Läden! Es gibt eine ganz tolle Buutik nur ein paar Meter weiter! Wenn wir uns beeilen, finden wir da auch noch etwas für dich. Ich habe dir ein paar Sachen zurücklegen lassen. Naburo meinte, du willst sicher selbst auswählen, was du trägst.«
Nadja war überrascht. Die Elfen hatten tatsächlich an sie gedacht. »Danke«, sagte sie verlegen und schämte sich für ihren Ausbruch von vorhin. Nach der Runde Schlaf und dem ordentlichen Abendessen ging es ihr gleich besser. Zwar war ihre Sorge um David und Rian nicht weniger geworden, aber sie fühlte sich endlich bereit, die Suche anzugehen.
»Ich möchte in ein Internetcafé hier in der Nähe. Dort kann ich auch meine E-Mails der letzten Wochen abrufen und mir ein paar Kontaktdaten herausschreiben. Ich brauche die Telefonnummer von einem Freund in München. Außerdem möchte ich nach Cagliostro recherchieren. Vielleicht gab es in den letzten Tagen sonderbare Phänomene in Tokio. Irgendetwas, das in den Zeitungen stand.«
»Aber vorher gehen wir in die Bu-utik!« Die schwarzbraunen Augen der Elfe strahlten.
»Boutique«, verbesserte Nadja. »Das ist Französisch.«
»Ich würde lieber aufs Zimmer gehen«, mischte sich Naburo ein. »Es ist zu lange her, dass ich meditierte.«
Torio verdrehte die rotbraunen Augen. »Dann komme ich mit euch.«
Der Shishi sah eine Weile unentschlossen zwischen Naburo und den anderen hin und her, dann trottete er zu dem Falkenkrieger in den Aufzug.
Es ist vielleicht auch einfacher, wenn nicht wieder alle von uns unterwegs sind
. Nadja ging an die Rezeption und ließ sich eine Wegbeschreibung zum nächsten Internetcafé geben. Über den hauseigenen Rechner wollte sie sich nicht einloggen, ein Internetcafé war anonymer.
Am besten besorge ich mir irgendwo ein Mobiltelefon, damit ich unabhängiger bin. Oder ich lasse mir von meiner Nachbarin oder Tom meine Sachen aus München schicken
.
Plötzlich fühlte sie sich fremd in ihrer eigenen Welt. Wie lange war sie nicht mehr in München, in ihrer Wohnung gewesen? Die Ereignisse hatten sie überrollt; viele Monate waren seit ihrem ersten Ausflug in die Anderswelt vergangen, als sie vor Fanmórs Thron getreten war, um die Schuld an Rians Tod auf sich zu laden. Danach war sie
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