Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Chiyo brachte Nadja in einen kleinen schicken Laden in der fünften Etage eines Hochhauses, der tatsächlich ganz passable Kleidung anbot. Nadja entschied sich für einen schicken grausilbernen Hosenanzug und zwei einfache weiße Blusen. Dazu suchte sie eine passende dünne Lederjacke aus. Sie kaufte gleich mehrere Sätze Unterwäsche und stopfte ihre alte Kleidung in eine leere Einkaufstüte. Zum Bezahlen benutzte sie die kleinen Perlen, die Naburo auch im Hotel verwendet hatte. Chiyo half ihr. Die Verkäuferin machte keine Schwierigkeiten.
»Viel besser«, sagte Nadja zufrieden, als sie in den großen Wandspiegel des Ladens sah.
Chiyo war nicht so begeistert. Das braune Rüschenkleid, zu dem sie Nadja vergeblich hatte überreden wollen, hing ungekauft an der Stange. »Es ist ganz nett. Aber so ... normal.«
Nadja lächelte. Gegen ein bisschen Normalität hatte sie nichts einzuwenden. »Gehen wir, bevor dieser Inter-netladen noch zumacht.«
Draußen wartete Torio auf sie. Er war schweigsam und bedachte Nadja immer wieder mit abwägenden Blicken. Anscheinend hatte er sich ihre Strafpredigt zu Herzen genommen.
Gut so
, dachte sie, während sie durch die hell erleuchteten Straßen gingen. Von Ruhe gab es keine Spur. Es war, als erwache die Stadt erst in den Abendstunden wirklich, als läge in der Dämmerung die Verheißung auf das wahre Leben. Zahlreiche Restaurants lockten mit ihren Auslagen, und die meisten Geschäfte hatten lange Öffnungszeiten. Einige waren sogar vierundzwanzig Stunden auf. Auch der Verkehr hatte nur mäßig abgenommen.
Sie brauchten nicht lange zu suchen, bis sie das Internetcafé fanden, das die Rezeptionistin ihr beschrieben hatte. Lenas Schilderung zufolge handelte es sich um ein Manga-Café. Man konnte dort in einem mit Regalen vollgestopften Raum japanische Comics lesen und sich die Zeit bis zur nächsten U-Bahn am Morgen totschlagen. Der Internetbetrieb lag in einem kleinen Nebenraum und wurde gegen dreiundzwanzig Uhr geschlossen, wohingegen das Manga-Café durchgehend geöffnet blieb. Es lag im Erdgeschoss eines Hochhauses direkt neben einem Laden für Computerspiele, der demselben Besitzer zu gehören schien. Freudig lächelte der kleine Japaner mit den strahlenden Augen und der auffälligen Zahnlücke Nadja an. Er erklärte Chiyo und Torio, wo die Rechner für die Internetnutzung standen und wie sie mit den Spielen und Mangas im weitaus größeren Bereich des Geschäftes umzugehen hatten. Nadja war dankbar, ihre Begleiter als Übersetzer dabeizuhaben. Während Chiyo und Torio sich zu einer Gruppe junger Japaner in den Spielraum verdrückten, setzte sie sich zu einigen anderen Gästen an die Rechner, die zum Arbeiten oder zum privaten Gebrauch gedacht waren. Dank Chiyos Überredungskünsten würde sie erst hinterher bezahlen müssen.
Endlich stürzte sie sich in die Recherche über Tokio und Cagliostro. Zuerst versuchte sie den direkten Weg, fahndete nach dem Namen Cagliostro und nach aktuellen Einträgen. Was sie fand, war alles Mögliche – von einem Film des berühmten Hayao Miyazaki bis zu einem Zauberladen mit diesem Namen und zahlreichen Randnotizen. Es war mühsam, die ins Englische übersetzten Seiten zu lesen, aber mit den japanischen fing sie noch weniger an. Nadja hatte gehofft, schon bei dem Zauberladen fündig geworden zu sein, doch diesen gab es bereits seit zwanzig Jahren. Enttäuscht suchte sie weiter. Sie fahndete nach aktuellen Ereignissen, nach Ungeheuerlichkeiten in den Pressemeldungen und den Regional-zeitungen Tokios. Erst als plötzlich Torio neben ihr stand, merkte sie, wie viel Zeit vergangen war. Verlegen spielte er an seinen hüftlangen schwarzen Zöpfen und sah Nadja aus rotbraunen Augen abschätzend an.
Die Uhr im Computer zeigte an, dass es nach zehn war. »Was ist?«, fragte Nadja abwesend.
»Ich ...« Torio zögerte. »Ich wollte mich bei dir ...« Er stockte. »Ich ... Danke, dass du mich nicht sofort zurückgeschickt hast. Andere hätten das vielleicht gemacht.«
Nadja sah ihn aufmerksam an. Meinte er es ehrlich? Es war schwer zu erkennen. Trotzdem entschloss sie sich, fairerweise einfach davon auszugehen.
»Ist schon in Ordnung. Ohne dich hätten wir länger nach dem Hotel gesucht. Lena war uns eine große Hilfe. Trotzdem bitte ich dich, keinen Elfenzauber mehr ...« Sie hielt inne. Torio war dicht an sie herangetreten. Nadja fühlte ihr Cairdeas am Handgelenk kribbeln, und die Härchen auf ihrem Unterarm
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