Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
Stiefeln.
»Er ist unheimlich«, stimmte sie zu, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
Der Mann trat an sie heran, stellte sich neben sie an die Brüstung und sah hinunter auf die Stadt. »Bist du das erste Mal hier? An so ein hübsches Gesicht hätte ich mich sicher erinnert.«
Sie machte einen kleinen Schritt zu Seite, damit sie nicht zu nah an ihm stand. »Falls du auf der Jagd nach weiblichen Singles bist, passe ich nicht in dein Beuteschema«, warnte sie ein wenig ruppig. Nach einer Anmache stand ihr ganz und gar nicht der Sinn.
»Du bist vergeben? Bedauerlich. Aber nicht dramatisch.« Der Mann sah auf sie herab. Er war gut einen Kopf größer als sie. Etwas an seinen Augen irritierte Nadja. Sie kamen ihr ... vertraut vor. Aber woher sollte sie diese Augen kennen?
Er wandte den Blick ab und blickte wieder hinab auf das Lichtermeer. »Im Moment sehne ich mich einfach nach einem netten Gespräch. Warst du heute im Theater?«
Nadja nickte. »Ja.«
»Hat es dir gefallen?«
Misstrauisch musterte sie ihn aus den Augenwinkeln. Wollte er sie erobern, obwohl sie ihm einen Korb gegeben hatte? Aber gut, sie konnte die Gelegenheit nutzen. Vielleicht konnte der Fremde ihr ja mehr über das Theater erzählen.
»Es war gewöhnungsbedürftig. Als Ausländerin fällt es mir schwer, mit dem Nô-Theater etwas anzufangen. Trotzdem ist dieses spezielle Haus wohl sehr gut. Es hat einige interessante Kritiken bekommen. Ist es schon lange in Ueno?«
Der Mann schüttelte den Kopf. Seine dunklen Augen betrachteten ihr Gesicht. »Nein, erst seit einigen Wochen. Der Betreiber soll ein sehr interessanter Mann sein. Angeblich besitzt er halb Tokio und steht mit der Yakuza in Verbindung, der japanischen Mafia.«
Nadja runzelte die Stirn. »Halb Tokio besitzt wohl niemand.« Plötzlich fühlte sie sich in der Gegenwart des Mannes unwohl. Irgendetwas an ihm verunsicherte sie. Dann durchzuckte sie ein Gedanke, der sie die Finger um das Geländer krampfen ließ.
Was, wenn er der Getreue ist? Er ist mir schon öfter in Larven erschienen, hat sich verstellt und mich getäuscht
. Was sollte sie tun? Fliehen? Nach hinten oder nach vorne?
Ganz ruhig, ich reagiere über. Möglicherweise ist er auch einfach nur ein Typ aus einer Disco, der sich nett mit einer attraktiven ausländischen Frau unterhalten will
.
Zum Glück kamen in diesem Moment Chiyo und Torio auf sie zu. Chiyo hielt zwei Cocktailgläser mit einer hellroten und einer dunkelgrünen Flüssigkeit in den Händen. An Torios Seite ging eine junge Frau in auffälliger, rosa und weiß gehaltener Kleidung.
»Entschuldige, da sind meine Freunde.« Nadja löste sich vom Geländer und eilte Torio und Chiyo entgegen.
Der Fremde machte keinerlei Anstalten, sie aufzuhalten.
Anscheinend ist er wirklich nur ein Besucher, und ich bin durch meine ganzen Erlebnisse mit der Anderswelt inzwischen paranoid
. Seufzend nahm sie Chiyo den Cocktail ab, der offensichtlich für sie bestimmt war.
Nadja trank einen großen Schluck durch den roten Strohhalm und sah sich nach dem namenlosen Mann um, doch er war nicht mehr da. Sie blinzelte. Dort, wo sie stand, hätte sie ihn eigentlich sehen müssen, wenn er wieder durch die geöffnete Glasschiebetür in die Diskothek ging. Nun schien es, als habe er sich in Luft aufgelöst.
So ein Quatsch. Hier sind einfach viele Menschen, und ich bin übermüdet. Nicht alles hat seine Erklärung in der Anderswelt
. Nadja nahm noch einen Schluck. Langsam verschwand das unbehagliche Gefühl von Kälte, das in ihr aufgestiegen war.
»Ich habe gute Neuigkeiten.« Torio grinste breit. »Das hier ist Mashiko! Sie wohnt keine zwei Häuserblocks vom Theater entfernt, und sie hat uns angeboten, bei ihr einzuziehen!«
Nadja öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Die junge Japanerin neben Torio kam zwar bei Weitem nicht an die elfische Schönheit von Chiyo heran – gegen die Elfe wirkte sie plump wie ein nordisches Schlachtross, das neben einem Araber stand –, doch für einen Menschen war sie ungewöhnlich hübsch. Sie hatte große Augen, seidige schwarze Haare, die sie aufgesteckt trug, und trug weiße hohe Stiefel, weiße Strapse über einer rosafarbenen Strumpfhose und ein weißrosa Minikleid mit weitem Tüllrock und tiefem Ausschnitt. In ihren Haaren steckte etwas, das wie eckige Plüschohren in Rosa aussah. Ein ungewöhnliches Outfit, gelinde gesagt, doch an ihr wirkte es wirklich sexy. Ihr Gesicht war stark geschminkt, was die weiche Linie der Lippen
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