Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
um das Theater in die Realität umzusetzen. Wie Sie vielleicht wissen, stamme ich aus einer reichen Samurai-Familie. Ich bin ein Edoko – meine Familie lebt schon seit über drei Generationen in Tokio, das früher Edo hieß. Inspiriert hat mich vor allem Zeami Motokiyo. Nachdem ich seine Biografie las – natürlich mehr eine Fiktion, denn Motokiyo ist seit über fünfhundert Jahren tot –, wusste ich, dass ich das hier machen möchte.«
Nadja schrieb eifrig mit. Dieser Mann war ein routinierter Sprecher, der durch und durch wie ein Profi wirkte und es hin und wieder sogar schaffte, Nadja zuzublinzeln, als wolle er mit ihr flirten.
»Ich habe gelesen, dass Sie auch einen italienischen Magier haben. Das interessiert die europäischen Leser sicher, zumal es sehr ungewöhnlich ist.«
»Das ist richtig. Cagliostro und ich trafen uns zufällig in einer Theatervorstellung. Er erzählte mir, was er tat, machte ein Vorsprechen, und da wusste ich, dass er etwas ganz Besonderes ist.«
An einen Zufall konnte Nadja wirklich nicht glauben. Je länger sie den Japaner mit dem großen Siegelring an der linken Hand und den fein polierten Manschettenknöpfen am Designeranzug betrachtete, desto sicherer war sie sich, dass er kein Mensch war. Dort saß der Feind der Tenna vor ihr. Das war der Mann, der alle Fäden in der Hand hielt. Unscheinbar in seiner Freundlichkeit, doch zugleich machtgewohnt und redegewandt. Einer, der sich in Tokio ebenso heimisch fühlte wie in der Anderswelt.
»Es gibt Gerüchte, Sie und der Magier würden das Theater nicht verlassen. Einige der weiblichen Fans erzählten mir sogar, Sie seien an diesen Ort gebunden.« Nadja lachte, um zu zeigen, wie lächerlich sie das fand.
Der Mann schmunzelte. »Das sind wir keineswegs. Wir wohnen hier, weil das Theater an sich groß genug für uns alle ist. Dieses Gebäude fasst einen kompletten Block. Aber natürlich verlassen wir es auch. Cagliostro lebt zwar tatsächlich sehr zurückgezogen, doch mich können Sie heute Abend gerne begleiten. Anlässlich unserer fünfzigsten Vorstellung veranstalten wir eine Party unten am Hafen. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen die Adresse und eine Einladung. Vielleicht finden wir dort noch Zeit, uns weiter zu unterhalten. Ich muss mich noch zurechtmachen.« Wieder zwinkerte er ihr zu. Wirkte er einen Zauber auf sie? Vielleicht versuchte er die ganze Zeit über schon, sie zu beeinflussen, und es funktionierte nur deshalb nicht, weil Nadja seine wahre Natur erkannt hatte.
»Ich komme gerne. Dürfte ich auch meinen Fotografen mitbringen und ein Bild von Ihnen machen?« Auf diese Weise konnte sie zumindest Naburo oder Torio mitnehmen.
Gutmütig nickte ihr Gesprächspartner. »Alles, was Sie wollen, Miss Jones. Ich freue mich schon, das Interview gedruckt zu sehen.«
Nadja lächelte freundlich zurück.
Wo sind jetzt die wahren Schauspieler? Auf der Bühne oder hier im Büro?
Sie stand auf. »Vielen Dank für Ihre Zeit und das freundliche Angebot.«
Kamio begleitete sie zur Tür. Wieder spürte sie die Masken, die sie hinter ihrem Rücken anzusehen schienen. Ein Gefühl der Bedrohung stieg in ihr auf, das sie nur mühsam abschütteln konnte. Tenji reichte ihr eine Visitenkarte mit schön geschwungenen Kanji-Zeichen.
Nadja bedankte sich ein letztes Mal und ging dann zurück auf den Platz vor dem Theater, wo die Elfen mit Mashiko bereits ungeduldig warteten.
Zwischenspiel
In Fanmórs Reich
Cor hatte das Portal durchquert. Eines der feinen Gespinste aus Nebelstoff lag über seinem Kopf und um seinen Körper. Er konnte durch die dünnen Fasern hindurchsehen und kicherte böse, als er den Kau erkannte. Das boshafte Geschöpf ähnelte einer großen Fellkugel, einer Mischung aus Biber und Chinchilla, wie sie hier in dieser Gegend der Anderswelt durchaus verbreitet war. Die Elfen nannten sie Darine.
Beide Geschöpfe trugen die magischen Tücher über dem Köper, die die Königin für sie aus ihrer Verzweiflung gewebt hatte. Außerdem hatte Cor einen kleinen Beutel bei sich, der randvoll mit einem kostbaren, rot schimmernden Pulver gefüllt war. Damit würde er Talamh in einen seligen Schlaf schicken. Sein letztes und wichtigstes Hilfsmittel war ein faustgroßer Klumpen Lehm, den er unter dem Gewand verbarg.
Auch der Kau kicherte gehässig, sobald der Spriggans in sein Blickfeld trat. »Wer aussieht wie ein Ziegenbock, der sollte mich nicht auslachen!«
Der Spriggans sah an sich hinab. Tatsächlich! Das Tuch der Königin hatte ihn in
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