Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
bringen.«
»Ich spüre es bereits. Meine Macht mehrt sich.« Tenji betrachtete all die Masken des Raumes, die ihm das Gefühl von göttlicher Größe verliehen. Viele Gefangene des letzten Krieges warteten darauf, aus dem magischen Holz erlöst zu werden, doch sie warteten vergeblich. Er würde sie niemals nach Jigoku ziehen lassen, nach Annuyn, wie die Elfen des Nordens das Totenreich nannten. Sie waren zu seinem privaten Vergnügen aufgehängt, gefangen in Holz und gemartert von den Albträumen, die er ihnen sandte.
»Herr ...« Cagliostro zögerte und wartete auf eine Aufforderung, sprechen zu dürfen.
Tenji genoss den Respekt, mit dem er ihn behandelte. Der seelenlose Magier war ein Furcht einflößendes Wesen, dessen Kräfte niemand erahnen konnte. Noch hatte er das volle Potenzial seiner untoten Existenz nicht entfaltet, doch seine Magie ging weit über das gewöhnliche Maß hinaus. Einzig der Zauberer Merlin mochte seinerzeit ein solches Potenzial besessen haben. Was Tenji besonders faszinierte, war Cagliostros Kunst, andere zu beherrschen.
Er sah wieder auf die beiden Zwillinge, die den Magier auf Knien links und rechts flankierten. Manchmal schickte Cagliostro sie für einfache Botengänge durch das Theater. Dabei versah er sie mit dünnen, unsichtbaren Leinen. Es war noch nie vorgekommen, dass sie eine Flucht versucht hatten. Dafür waren sie zu stark von Cagliostro beeinflusst. Der Magier hatte nicht nur ihren Willen unterworfen, er veränderte in einer Illusion auch ihr Äußeres. Es war ihm ein Vergnügen, den Zwillingen das Aussehen von Menschen zu geben. Während seiner Vorstellungen ließ er die Elfen mit spitzen Ohren und in den Masken der Bannfee auf die Bühne. Dort benutzte er sie als Assistenten für seine Show.
Es macht ihm Freude, sie zu erniedrigen, und doch wirkt Cagliostro nicht glücklich. Etwas in ihm ist wie ein Loch, das niemals gefüllt werden kann
. Tenji sah zu seinen Masken an der Wand gegenüber.
Vielleicht kann kein Mensch es unbeschadet überstehen, die Seele entrissen zu bekommen, selbst Cagliostro nicht
.
»Sprich.« Er hatte Cagliostro absichtlich warten lassen, um die Unterwürfigkeit seines Verbündeten zu genießen. Noch tat der Magier, was er von ihm verlangte.
»Ich bitte dich – du bist ein Meister im Durchschauen von Larven! Auf diesem Gebiet sind deine Kräfte gewaltiger als die meinen. Wenn du Nadja Oreso hier ankommen siehst – und sie
wird
hier ankommen! –, dann richte es mir aus.«
»Natürlich«, log der Elf so gekonnt, wie es nur Elfen beherrschten. Er hatte seine eigenen Pläne mit der Mutter Talamhs, die in Elfenkreisen bereits eine lebende Legende war.
»Danke, Tenji. Ich bin mir sicher, sie ist schon auf dem Weg.« Cagliostro stieß einen scharfen Pfiff aus, und seine Hündchen erhoben sich ergeben. Tenji konnte fühlen, wie die unsichtbaren Leinen sich im Raum spannten. Mit leeren Augen hinter der Maske trotteten die Kinder Fanmórs dem Magier nach.
Torio hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache, aber wie immer blieb ihm keine Wahl. Wer war er schon, dass er die Pläne des großen Naburo anzweifeln durfte? Missmutig ging er hinter seinem Bruder und Prinzessin Chiyo her. Naburo hatte ihm verboten, gegen die zwölf offen aufzubegehren. Er vertraute auf die Kraft der Kristallanhänger und darauf, dass Ryo ihn nicht erkannte.
Ein Mann im unvermeidlichen schwarzen Anzug holte sie am Eingang des Theaters ab und brachte sie zu einem größeren Raum im Inneren. Torio betrachtete die prunkvoll ausgestatteten Gänge. Sie waren mit schweren Teppichen belegt, an der Decke hingen blitzende Lüster aus geschliffenem Glas und Kristall. Spiegel gab es keine, dafür jede Menge Bilder in japanischer Tradition, die in wuchtigen Goldrahmen steckten.
Was ist, wenn Naburo sich nicht länger beherrschen kann und auf Ryo losgeht?
Torio wünschte, er hätte seinen Bogen dabei, doch der lag in Mashikos Wohnung. Er konnte den Zorn seines Bruders spüren wie körperlichen Schmerz. Den Hass auf seinen Erzfeind. Ihm selbst erging es nicht besser. Am liebsten hätte er Ryo mit Pfeilen gespickt, bis der Abkömmling des Feuergottes einem zu groß geratenen Igel ähnelte.
Sie traten in ein geräumiges Zimmer, das absolut menschlich wirkte. Ein einfaches Büro mit einem wuchtigen Schreibtisch und Bildern an den Wänden, die an jene im Flur erinnerten. Lange rote Vorhänge waren vor dem vergitterten Fenster angebracht und bedeckten ein Teilstück seiner linken und rechten
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