Rage Zorn
geradezu lächerlich, wie prüde sie darauf aussah. Sie schien ihm direkt in die Augen zu sehen, bis er am liebsten den Blick abgewendet hätte. Aber das konnte er nicht.
Neben dem Bild stand ein Artikel über sie: die Tochter eines Richters â heiliger Himmel; in ihrem letzten Jahr an der Highschool; wurde mehrfach von der Polizei aufgegriffen; im letzten Semester für drei Tage von der Schule verwiesen; dann das rätselhafte Verschwinden.
Am detailliertesten lieà sich der Reporter über ihre Mitgliedschaft in einem Internet-Club aus, der allein dem Zweck diente, Sexpartner zusammenzuführen. Hier stand es, schwarz auf weiÃ. Der Autor beschrieb, wie alles funktionierte, schilderte die Chatrooms,
die eindeutigen Nachrichten auf der Webseite, die geheimen Zusammenkünfte â die für die Mitglieder kein Geheimnis waren â und das anstöÃige Treiben bei jenen Treffen. Jeder, mit dem Janey Kontakt gehabt hatte, werde von der Polizei ausfindig gemacht und befragt. AuÃerdem wurde in einem Absatz angedeutet, dass es möglicherweise eine Verbindung zu Paris Gibsons Radiosendung geben könnte.
Brad stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und umklammerte den Kopf mit beiden Händen.
Sergeant Robert Curtis, der die Ermittlungen leitet, wollte Miss Kemps angebliche Verbindungen zum Sex Club nicht kommentieren, wohingegen Officer John Rondeau vom Dezernat für Computerkriminalität erklärte, dass eine solche Verbindung nicht ausgeschlossen werden könne.
»Wir ermitteln weiter in diese Richtung«, erklärte Rondeau.
Beide Polizisten wollten sich nicht dazu äuÃern, ob möglicherweise eine Straftat vorliege.
In dem Artikel stand auÃerdem zu lesen, dass sich der Polizeisprecher geweigert habe, einen Kommentar abzugeben, als er gefragt wurde, warum ein Detective aus dem Morddezernat die Ermittlungen in einem Vermisstenfall leite. Der deutlich gesprächigere Rondeau teilte hingegen dem Reporter mit: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keinen Hinweis auf eine Straftat, weshalb wir davon ausgehen, dass Miss Kemp von zu Hause ausgerissen ist.« Eine gute Erwiderung, mit der die gestellte Frage allerdings nicht beantwortet wurde.
Richter Kemp wurde mit den Worten zitiert: »Wie alle Teenager ist Janey bisweilen ungestüm und unverantwortlich, wenn es darum geht, uns in ihre Pläne einzuweihen. Mrs Kemp und ich sind zuversichtlich, dass sie bald wieder auftauchen wird. Für sensationslüsterne Spekulationen ist es jedenfalls zu früh.«
Brad schreckte auf, als sein Telefon klingelte. Mit zitternder Hand drückte er die Freisprechtaste. »Ja?«
»Ihre Frau ist auf Leitung zwei, Dr. Armstrong. Und Ihre nächste Patientin ist eingetroffen.«
»Danke. Ich komme in fünf Minuten.«
Er wischte sich den Schweià von der Oberlippe und atmete mehrmals tief durch, bevor er den Hörer von der Gabel hob. Es war besser, vorübergehend zu Kreuze zu kriechen.
»Hallo, Schatz. Hör zu, bevor du etwas sagst, möchte ich dir erklären, wie Leid mir das mit gestern Abend tut. Ich liebe dich. Ich hasse mich dafür, dass ich dir all diese Dinge an den Kopf geworfen habe. Und der Müllsack ist Geschichte. Ich habe alles weggeworfen. Alles. Und was das ⦠Ãbrige angeht⦠Ich weià nicht, was da in mich gefahren ist. Ich bin â«
»Du hast deinen Termin versäumt.«
»Hä?«
»Deinen Termin um zehn Uhr morgens bei Mr Hathaway. Er hat hier angerufen, weil er dich nicht in deiner Praxis erreichen konnte.«
»Jesus. Den habe ich ganz vergessen.« Das war nicht einmal gelogen. Er war in die Praxis gekommen, hatte im Internet eine halbe Stunde totgeschlagen, drei Patienten behandelt, die Titelseite der Zeitung gelesen.
»Wie kannst du etwas so Wichtiges vergessen, Brad?«
»Ich hatte Patienten«, erwiderte er gehässig. »Die sind auch ziemlich wichtig. Denkst du ab und zu auch an unsere Hypotheken? Die Raten für das Auto? Die Rechnung vom Supermarkt? Ich habe einen Job.«
»Den hast du nicht mehr lange, wenn du ins Gefängnis musst.«
Sein Blick fiel auf das Bild von Janey Kemp. »Ich muss bestimmt nicht ins Gefängnis, nur weil ich einen Termin bei meinem Bewährungshelfer versäumt habe.«
»Er lässt noch einmal Nachsicht walten. Du hast einen neuen Termin um dreizehn Uhr dreiÃig.«
Sie saà schon
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