Rage Zorn
erklärt, dass er zu Hause arbeiten würde, und sich dann gezwungen, das längst überfällige Gutachten zu verfassen. Er war gerade damit fertig, als Robert Curtis anrief und ihm etwas eröffnete, das womöglich sein ganzes Leben verändern würde.
»Die Polizei will mich verhören?«, fragte Gavin. »Warum das denn?«
Dean hatte sich an die schwache Hoffnung geklammert, dass Rondeau auf dem Holzweg wäre, aber Gavins entsetzter Gesichtsausdruck war ein todsicherer Hinweis darauf, dass die Information korrekt war.
»Du hast mich angelogen, Gavin. Du bist aktives Mitglied im Sex Club. Du hast etliche E-Mails mit Janey Kemp ausgetauscht, und nach dem zu urteilen, was ihr euch hin und her geschrieben habt, kennst du sie verflucht noch mal wesentlich besser, als du mir weismachen wolltest. Willst du irgendwas davon abstreiten?«
Inzwischen saà Gavin auf dem Bettrand und hatte den Kopf zwischen die zusammengesunkenen Schultern gezogen. »Nein.«
»Wann genau hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
»An dem Abend, als sie verschwunden ist.«
»Und wann?«
»Ziemlich früh. Gegen acht oder so. Es war noch hell.«
»Wo?«
»Am See. Da ist sie immer.«
»Wart ihr an dem Abend dort verabredet?«
»Nein. Sie hat mich in den letzten Wochen wie einen Aussätzigen behandelt.«
»Und warum?«
»Sie ist eben so. Erst bringt sie dich dazu, sie zu mögen, und im nächsten Moment, zack, bist du Geschichte. Ich hab gehört, sie hat sich mit diesem anderen Typen getroffen.«
»Wie heiÃt er?«
»Weià ich nicht. Das weià niemand. Ich hab gehört, er soll schon älter sein.«
»Wie alt?«
»Keine Ahnung«, greinte Gavin, dem die vielen Fragen zusetzten. »Um die dreiÃig vielleicht.«
»Und was hat sich an dem Abend abgespielt?«
»Ich bin zu ihr hin, und wir haben geredet.«
»Du warst wütend auf sie.« Gavin sah zu ihm auf und fragte ihn wortlos, woher er das wusste. »In der letzten E-Mail hast du sie eine Schlampe genannt. Und Schlimmeres.«
Gavin schluckte schwer und lieà den Kopf wieder hängen. »Ich hab es nicht so gemeint.«
»Also, ich weià nicht, ob die Polizei das auch so sehen wird. Vor allem nachdem das Mädchen seit jenem Abend vermisst wird.«
»Ich weià nicht, was mit ihr passiert ist. Ehrenwort. Glaubst du mir nicht?«
Dean hätte ihm nur zu gern geglaubt, aber er widerstand dem Drang, Nachsicht walten zu lassen. Dies war nicht der Zeitpunkt für Milde. Gavin brauchte jetzt einen festen Vater, kein Weichei. »Ob ich dir glaube oder nicht, klären wir später. Fahr deinen Computer hoch. Ich muss wissen, wie ernst die Lage ist.«
Widerwillig stellte sich Gavin an seinen Schreibtisch. Dean fiel auf, dass er einen Benutzernamen und ein Passwort eingeben
musste, um den Computer zu starten, was nicht nötig gewesen wäre, wenn er nichts zu verbergen gehabt hätte.
Die Homepage des Sex Clubs war von Amateuren entworfen worden. Es war wie Gekritzel auf einer Klowand in einer Cyberspace-Version. Dean schob sich an Gavin vorbei. Er setzte sich auf den Schreibtischstuhl und streckte die Hand nach der Maus aus.
»Dad«, stöhnte Gavin.
Aber Dean achtete gar nicht auf ihn und klickte sofort das Forum an. Curtis hatte ihm verraten, welchen Namen Gavin und Janey verwendet hatten: Blade beziehungsweise Pussinboots . Zehn Minuten lang scrollte Dean durch die Beiträge und hielt nur an, um die zu lesen, die sein Sohn oder die Tochter des Richters geschrieben hatten. Es war keine leichte Lektüre.
Die letzte Nachricht, die Gavin ihr geschickt hatte, war grob, beleidigend und mittlerweile belastend. Niedergeschmettert schloss Dean die Webseite und schaltete den Computer aus. Sekundenlang starrte er auf den schwarzen Bildschirm und versuchte, in dem Verfasser dieser Nachrichten den kleinen Jungen wiederzuerkennen, dem er beigebracht hatte, einen Baseballhandschuh zu benützen, den Jungen mit dem zahnlückigen Lächeln und der von Sommersprossen gesprenkelten Nase, den Winzling, dessen gröÃtes Problem einst Essensgerüche gewesen waren.
Doch Dean hatte keine Zeit, sich seiner nostalgischen Melancholie hinzugeben. Das musste bis später warten. Jetzt zählte allein, dass er seinen Sohn von jedem Verdacht reinwusch.
»Dieses eine Mal solltest du lieber die ganze Wahrheit sagen, Gavin. Ich will dir
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