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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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unvollständigen Wissen. Während der Herbststürme kamen übernatürliche Wesen über das Wasser und sie lehrten Kupferfrau jenes Wissen, das die Menschheit für ein erfülltes Leben brauchte. Als die Wesen wieder verschwunden waren, weinte Kupferfrau, weil sie sich nun einsam fühlte. Sie weinte so heftig und lange, dass dicker Schleim aus ihrer Nase in den Sand floss.
    Die Wissenden Wesen hatten ihr geraten, sich für diesen Schleim nicht zu schämen, sondern ihn gut aufzubewahren. Kupferfrau gab den sandigen Schleim also in eine Muschelschale und bewahrte ihn auf. Tage später merkte sie, wie der Sand in der Muschel sich bewegte. Ein winziges Menschlein war entstanden, Rotzbube, der erste Mann. Die Söhne und Töchter von Rotzbube und Kupferfrau zeugten die ersten Menschen.
    Unvermutet musste Greg lächeln. Kupferfrau . War es das, was Jim so an Hanna fasziniert hatte? Ihre roten Haare? Das wäre typisch für Jim, für den die alten Legenden immer zum Leben gehört hatten.
    Das Meer umspülte seine Stiefel. Die Flut stieg. Sehr schnell war der Strand zu einem schmalen Streifen zwischen den Ausläufern der Brandung und der Treibholzbarriere geschrumpft. Der Pazifik war ein großes dunkles Tier, das in der Lage war, einen zu verschlingen, wenn man nicht auf der Hut war. Doch Greg fürchtete sich nicht vor dem Ozean. Die Menschen und ihr seltsames Tun waren es, die ihm Angst machten.
    Er stieß einen Seufzer aus und kehrte um. Der Nachtwind schlug ihm die Haare über das Gesicht. Die Schmerzen in seinem lädierten Fußgelenk waren stärker geworden. Greg gab dem Gefühl nach und humpelte. Du kannst an nichts festhalten, dachte er, nicht mal am Schmerz.
    Und auf einmal wusste er, was er tun musste, um über seine innere Unruhe Herr zu werden. Er beschloss, Hanna bei ihrer Suche nach Jim zu helfen.

5. Kapitel
    Sheriff Bill Lighthouse begann seinen Sonntagsdienst am frühen Morgen oben am Kap und überprüfte das Geländer in der kleinen Ausbuchtung. Die Arbeiter hatten es komplett erneuert, alles sah so aus, als ob der Unfall nie passiert wäre. Trotzdem stimmte etwas nicht. Er spürte die Anwesenheit eines Wesens, das sehr verärgert war. Jemand, oder besser: etwas , das sich schon seit einer Weile in seiner Nähe aufhielt, in drohender Unentschlossenheit verharrend. Aber so gründlich Bill auch um sich blickte und das Blätterdickicht zu durchdringen versuchte – da war niemand. Also doch Geister. Zornige Geister.
    Mit der Rechten strich sich Bill nachdenklich über sein glatt rasiertes Kinn. Vielleicht war das etwas, das nur für einen Makah spürbar war. Weil die Welt der Makah, im Gegensatz zur Welt der Weißen, nicht auf das Sichtbare beschränkt blieb. Für Fremde war dieser Ort eine Attraktion, die es wert war, auf ihren Videos und Digitalkameras festgehalten zu werden. Der Pazifik zu seinen Füßen. Tiefblaues Wasser und zerklüftete Felsen. Dahinter der Wald mit seinem dichten Unterholz und den mächtigen, jahrhundertealten Bäumen. Doch kein Fremder würde jemals die Seele des Ortes erblicken.
    Achselzuckend machte der Sheriff kehrt und lief den Weg zurück zu seinem Wagen. Lautlose Schritte begleiteten ihn durch den Wald. Blieb Bill stehen, stand auch der andere. Lief er weiter, nahm er die fremden Schritte wieder wahr. Sollte das wirklich ein Geist sein? Obwohl der Sheriff sich lächerlich vorkam, zog er seine Waffe. Er setzte seinen Weg fort, drehte sich jedoch einige Male ruckartig um und richtete die Pistole auf das nächstbeste Gebüsch, in der Hoffnung, den unsichtbaren Verfolger zu ertappen.
    Schließlich schob Bill seine Dienstwaffe zurück ins Halfter. Was sollte er tun, wenn er ein übernatürliches Wesen auf frischer Tat erwischte? Es festnehmen und hinter Gitter sperren?
    Nachdem Greg am vergangenen Abend gefahren war, hatte Hanna das Bett bezogen, hatte sich in die Decke gerollt und geschlafen wie eine Bewusstlose. Gegen Morgen, es war noch dunkel draußen, wurde sie wach, weil der Kühlschrank geräuschvoll ansprang. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war, aber dann fiel ihr alles wieder ein: ihr Sturz von der Klippe, Greg Ahousat und seine Muscheln, Gertrude Allabush und ihr Strandhaus.
    Schlaftrunken stand sie auf und ging in das winzige Bad auf die Toilette. Danach tappte sie zurück in die Schlafkammer, schloss die Tür zum Wohnraum und legte sich wieder ins Bett. Im Halbschlaf träumte sie, dass Jim und sie sich liebten – und so furchtbar gern hätte sie diesen Traum festgehalten. Sie

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