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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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…«.
    Hanna stieg ein und Greg fuhr mit ihr zum Strandhaus.
    Matthew Ahousat saß reglos im Sessel vor dem Kamin, in dem das Feuer nur noch glimmte. Er stierte auf die beiden Weingläser und versuchte zu begreifen, was einfach nicht wahr sein konnte: die fremde Frau, die er hasste, und sein einziger Sohn in trauter Zweisamkeit.
    Das hätte niemals passieren dürfen.
    War sein Schutzgeist, der Wolf, so zornig auf ihn, dass er das Unmögliche hatte geschehen lassen? Greg zusammen mit dieser Frau, der er nie hätte begegnen dürfen; schon verhext von ihr. Welche verschlungenen Pfade hatten zu diesem unglücklichen Zusammentreffen geführt, wo er doch alles versucht hatte, es zu verhindern?
    Der alte Mann stieß einen Klagelaut aus.
    Hatte er seinem Sohn nicht genug von der Macht der alten Legenden erzählt und von der Verpflichtung seinen Vorvätern gegenüber? Wusste Greg denn nicht, dass Makah-Blut sich nicht mit dem der Weißen vermischen durfte, wenn sie in hundert Jahren immer noch als Volk existieren wollten?
    In diesem Blut lebten die Lieder seines Volkes; genauso wie die Erinnerungen an seine Vorfahren – auch an jene, die Greg nie gekannt hat.
    Matthew Ahousat wusste um all diese Dinge und das Wissen wog wie eine schwere Last. Sie drückte ihn nieder, denn er trug sie allein. Die Tage, in denen alles noch so war, wie es sein sollte, waren längst vorbei. Seit einiger Zeit hörte er Stimmen. Es waren die Stimmen des Todes und sie beunruhigten ihn zutiefst. Der Meisterschnitzer fürchtete sich nicht vor dem Tod, aber er wollte bestimmen, wann und wie er starb.
    Meine Zeit ist noch nicht gekommen.
    Er hatte seine Aufgabe noch nicht erfüllt. Wie sollte er seinem Sohn begreiflich machen, dass er, wenn er ein Makah sein wollte, die alten Gesetze einzuhalten hatte? Diese Regeln hatten ihren Sinn nicht verloren, sie würden gelten, so lange das Volk der Makah existierte.
    Ahousat erhob sich ächzend und ging hinauf in die Küche. Er ließ kaltes Wasser in ein Glas laufen und setzte es an die Lippen. Kühl rann es durch seine trockene Kehle.
    Nach einer ausgiebigen Dusche, die die Stadt von ihm abspülte, legte er sich in sein Bett. Matthew hätte viel zu bereden gehabt mit seinem Sohn, aber das musste warten, weil Greg mit dieser Frau fortgefahren war und er nicht wusste, ob er zurückkommen würde.
    Ich kenne ihn überhaupt nicht, dachte er.
    Er hatte keine Ahnung, was in Gregs Kopf und in seinem Herzen vor sich ging. Bei Jim war das anders gewesen, ihn hatte Matthew besser gekannt. Jim. Diese Wunde war ein immer größer werdendes Loch in seiner Brust. Ein schwärendes Loch, das sich nie mehr schließen würde. Matthew musste Greg davor bewahren, die Dummheit des anderen zu wiederholen. Er war sein Fleisch und Blut. Seine Zukunft. Sein Versprechen an seine Vorväter. Greg würde der nächste Meisterschnitzer von Neah Bay sein. Und diese weiße Frau musste so schnell wie möglich aus seinem Leben verschwinden.
    Als Grace Allabush sich versichert hatte, dass ihre Urgroßmutter fest schlief, schlich sie sich auf leisen Sohlen aus dem Haus. Joey wartete an der verabredeten Stelle auf sie. Er sah sie voller Zärtlichkeit und Liebe an, bevor er sie küsste.
    »Ich will mich nicht mehr heimlich mit dir treffen«, sagte er.
    »Ach Joey, ich hab dir doch schon hundertmal erklärt, dass meine Granny denkt, ich wäre zu jung, um mich mit einem Jungen zu treffen.«
    Er nahm ihre Hand in seine und sie liefen den Weg in Richtung Museum. Hier würde ihnen um die Zeit niemand mehr begegnen.
    »Liegt es vielleicht daran, dass du dich nicht traust, ihr zu sagen, wer dieser eine Junge ist?«
    Grace hatte Joey zwar von der Geschichte der männerlosen Allabush-Frauen erzählt und er wusste auch von ihrer zukünftigen Aufgabe, das alte Wissen vor den Gefahren der neuen Zeit zu hüten. Doch darüber, dass seine Herkunft für ihre Urgroßmutter ein Problem sein könnte, hatten sie nie offen gesprochen. Joey schien einfach zu spüren, dass sie etwas bedrückte.
    »Ich werd’s ihr sagen, okay?«
    »Wann, Grace?« Er blieb stehen und sah sie an. Das Weiß seiner Augen leuchtete in der Dunkelheit.
    »Schon bald.«
    Sie würde ihrer Granny von Joey erzählen, wenn sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Wenn sie ihre Liebe mit der Vereinigung ihrer Körper besiegelt hatten. Denn dann konnte sie nichts mehr trennen, auch ihre unterschiedliche Herkunft nicht.
    »Versprochen?«, fragte Joey.
    »Versprochen.«
    Sie liefen weiter und

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