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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Joey sagte: »Übrigens, ich weiß jetzt, wen ich gestern im Wald gesehen habe.«
    »Wer war es?«, fragte sie neugierig.
    »Es war Tsonoqa, die Wilde Frau.«
    Grace ließ seine Hand los und presste sie auf ihren Mund, um nicht laut aufzulachen.
    Joey schnaubte leise. »Ich habe gehört, wie mein Cousin von ihr erzählte«, sagte er gekränkt. »Er hat sie auch gesehen, als er im Wald Holz holte. Die Frau ist fast nackt, trägt nur einen Bastrock aus Zedernrinde. Du weißt schon … wie unsere Vorfahren sie trugen.«
    Grace holte hörbar Luft. »Ein Bastrock? Bist du dir sicher?«
    »Na ja, eigentlich hab ich nur ihre Augen gesehen. Aber ich weiß, dass sie es war. Wäre es jemand anderes gewesen, würden die Leute im Ort längst über uns spotten. Es hätte sich herumgesprochen, was wir da draußen vorgehabt haben. Deine Granny wüsste längst Bescheid.«
    Grace schwieg. Was er da sagte, war nicht von der Hand zu weisen. Außerdem erinnerte sie sich daran, dieses Säuseln in den Baumwipfeln gehört zu haben, durch das die Wilde Frau des Waldes ihr Kommen ankündigt. »Ich dachte, Tsonoqa existiert nur in unseren Geschichten«, bemerkte sie, doch nun war jeder Spott aus ihrer Stimme gewichen. »Großmutter sagt zwar immer, dass unsere Geschichten lebendiger wären, als manch einer von uns glaubt, aber ich hatte keine Ahnung, wie recht sie damit haben könnte.«
    Joey nahm Grace an der Schulter. »Ich werde Tsonoqa aufspüren.«
    »Versuche es nicht, Joey. Sie kann dich töten.«
    »Das glaube ich nicht.« Er ließ sie los. »Sie ist eine von uns.«
    »Wir sind keine Geister, Joey. Sie ist einer.«
    »Nein«, er schüttelte nachdenklich den Kopf, »ich glaube, sie ist aus Fleisch und Blut – wie wir. Sie hatte nicht vor, uns etwas anzutun. Ihr Groll richtet sich nur gegen Fremde.«
    »Wie kommst du denn darauf?« Grace’ Schritte stockten, denn der Wald war auf einmal sehr nahe. Die Bäume warfen lange Schatten im Mondlicht. Ohne sich abzusprechen, drehten die beiden um und liefen zum Allabush-Haus zurück. Sie redeten leise über die deutsche Frau, die am Kap abgestürzt war, und Grace fragte, ob Joey etwas Neues erfahren hatte von seinem Onkel.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Greg Ahousat war mit dieser Frau bei uns«, sagte Grace. »Er wollte den Schlüssel für das Strandhaus. Er sagte, sie würde nach Jim Kachook suchen.«
    »Jim Kachook?«, fragte Joey verwundert. »Ich dachte, der ist in Deutschland geblieben?«
    »Das denken alle«, flüsterte Grace geheimnisvoll, »aber vielleicht ist es gar nicht so. Die Frau, sie heißt Hanna, ist dieselbe, mit der Jim fortgegangen ist. Sie war heute noch einmal allein bei uns. Ich glaube, sie wollte Granny nach Jim ausfragen.«
    »Und? Hat deine Granny ihr was erzählt?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ich denke schon.«
    »Und was?«
    »Mit Sicherheit etwas, das ich nicht hören sollte. Granny hat mich Brot holen geschickt.«
    Sie waren vor dem Haus angekommen und Grace umarmte Joey fest. »Mach keine Dummheiten, okay?« Sie küsste ihn.
    »Ich liebe dich«, sagte er und sie wusste, dass er das nicht bloß so sagte.
    »Bis morgen, Joey.«
    »Bis morgen, Grace.«
    In ihrem Zimmer in der oberen Etage angekommen, schob Grace den Vorhang ein Stück zur Seite und blickte hinunter auf die Straße. Joey stand immer noch da und blickte zu ihr herauf.

11. Kapitel
    Regen trommelte gegen die kleine Fensterscheibe in der Schlafkammer des Strandhauses. Hanna lag schon eine Weile wach und grübelte über den gestrigen Abend nach. Über den Hass, den der alte Ahousat über ihr ausgeschüttet hatte. Und über Greg und die Zuneigung in seinen Augen. Wäre sein Vater eine halbe Stunde später nach Hause gekommen, er hätte sie vielleicht bei etwas anderem als nur beim Weintrinken ertappt.
    Greg hatte Hanna zum Strandhaus gefahren, und als er mit hineinkommen wollte, hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie allein sein wollte. Er hatte das wortlos respektiert, aber die Enttäuschung in seinen Augen war unverkennbar gewesen.
    Es ist besser so, sagte sich Hanna. Es ist vernünftig .
    Sie hatte schon genug Chaos in Gregs Leben gebracht und nun hatte er auch noch Streit mit seinem Vater. Sie musste seine dunklen Augen vergessen und sich auf die Suche nach Jim konzentrieren. Notfalls auch ohne Gregs Hilfe.
    Als es an der Eingangstür klopfte, zuckte Hanna erschrocken zusammen und lauschte.
    »Hanna?«
    Seufzend kroch sie aus dem Bett und tappte durch den Wohnraum zur Tür.
    »Wer ist

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