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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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»Sie hat geheiratet. Das ist alles, was ich weiß.«
    »Manchmal fällt es einem schwer loszulassen«, sagte Hanna, »weil man Angst hat, dass man dann ins Bodenlose fällt. Ich habe Angst, Jim loszulassen.«
    »Ich weiß«, sagte Greg. »Ich weiß, wie es ist. Ich bin gefallen und ich bin am Boden aufgekommen. Keine Angst, man überlebt es.«
    »Aber wie überlebt man?«
    »Du reibst dir deine kaputten Glieder, stehst auf und fängst an zu laufen.«
    »Kann man wirklich ganz von vorn anfangen, Greg?«
    »Man kann«, sagte er. Man muss.
    »Wirst du Annie auf dem Potlatch ein Heiratsversprechen geben, Greg?«
    Es war still und wurde noch stiller. Sogar das Meer schwieg. Greg war bewusst, dass er sich, wenn er Hannas Frage ehrlich beantwortete, auf gefährlichem Eis bewegte.
    »Darauf warten eine Menge Leute hier im Ort«, rang er sich schließlich ab.
    »Und, wirst du es tun? Ist das der Grund, warum du zu diesem Potlatch gehen wirst?«
    Sie sah ihn fragend an, mit einem zu langen Blick, der ihn zwang, ihr zu antworten.
    »Nein, Hanna, ich liebe Annie nicht«, sagte er, »und ich werde sie auch nicht heiraten.«
    Als ihre Granny fest schlief, schlich sich Grace aus dem Haus. Joey wartete an der nächsten Straßenecke auf sie. Diesmal stiegen sie in seinen alten Dodge. Sie fuhren an der Küste entlang in Richtung Sekiu Point. Joeys Plan war rührend, wie Grace fand.
    Auf halber Strecke zwischen Neah Bay und Sekiu Point gab es einen Zeltplatz. Dort hatte er am Nachmittag sein kleines Zelt aufgestellt. Niemand würde sie stören. Hier waren sie auch sicher vor Tsonoqa, der Wilden Frau, denn sie befanden sich außerhalb der Reservatsgrenzen. Grace musste nur rechtzeitig wieder ins Haus ihrer Urgroßmutter zurückkehren, bevor die alte Frau das Fehlen ihrer Urenkelin bemerken würde.
    Sie erreichten den Zeltplatz, und als Grace das einsam stehende, vom Mond beschienene Zelt sah, wurde ihr warm ums Herz. Joey Hunter hatte ein Nest gebaut für ihr erstes Mal.
    Nach dieser Nacht würde die Heimlichtuerei nicht mehr notwendig sein. Dann war Schluss mit dem Versteckspiel.
    Im Zelt lagen warme Decken und zwei Schlafsäcke. Als Joey vom Waschraum zurückkehrte, zog er sich nackt aus und kuschelte sich zu Grace unter die Decke. Das Wasser unter der Dusche war ganz offensichtlich eiskalt gewesen, und als sie seine kühlen Glieder an ihrem Leib spürte, durchströmte sie eine wohlige, leicht mit Angst vermischte Neugier.
    Joey küsste sie zärtlich und sie ließ sich in seinen Kuss fallen wie in den Ozean, durchströmt von diesem wunderbaren Gefühl, dass alles richtig war.
    Joey lag halb auf ihr, er küsste ihren Hals, ihre Brüste und Grace spürte die vertraute Hitzewelle, die von ihrem Schoß ausging. Als er sich zwischen ihre Beine drängte, stemmte sie ihre Hände gegen seine Brust, aber nur für einen Augenblick. Sie liebte ihn – das, was sie hier taten, wollten sie beide.
    Die gut gemeinten Ratschläge ihrer Urgroßmutter kamen ihr in den Sinn. »Denk dir im entscheidenden Moment etwas anderes«, hatte Gertrude gesagt. »Stell dir vor, du wärst ein Vogel oder ein Fisch. Sei abwesend. Dann bist du nicht verwundbar.«
    Doch Grace Allabush wollte nicht abwesend sein. Sie wollte hier sein, bei Joey. Sie umschlang ihn mit ihren Gliedern und als er in sie eindrang, gab Grace keinen Laut von sich, trotz des heftigen Schmerzes. Sie hielt die Luft an und biss die Zähne zusammen.
    Es war nicht das, was sie erwartet hatte. Kein wunderbares Verschmelzen und auch keine glühende Lust. Sie fühlte nur diesen Schmerz, der an- und abschwoll wie die Wellen am Strand. Der erst abebbte, als Joey sich aus ihr zurückzog und schwer wie ein Baum auf ihr lag.
    Wir alle müssen Schmerz ertragen, dachte Grace. Sie legte Joey ihre kühle Hand in den Nacken und streichelte ihn. Er war jetzt ihr Mann.
    »Habe ich dir wehgetan?«, fragte Joey besorgt.
    »Nein«, log Grace, denn sie wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte. Er hatte ihr etwas genommen, aber gleichzeitig auch etwas geschenkt: Sie, Grace Allabush, war Joey Hunters erste Frau. Er war unschuldig gewesen wie sie. Was sie soeben getan hatten, trennte sie für immer von der Welt jener Geschöpfe, die immer noch träumten.
    »Ich liebe dich«, sagte Joey.
    »Ich liebe dich auch«, antwortete sie und es war die Wahrheit.
    Joey kam noch einmal zu ihr und ihr warmer Körper empfing ihn zärtlich. Diesmal, betäubt von unendlicher Müdigkeit, spürte Grace, dass es einen Punkt in ihrem

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