Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
hier?«
    »Jim finden. Das ist alles.«
    »Wozu?«
    »Wozu? Damit sie ihrer Tochter Ola erzählen kann, was aus ihrem Vater geworden ist.« Greg hoffte, wenigstens bei der Erwähnung von Jims Tochter Überraschung in den Augen seines Vaters zu entdecken, doch scheinbar unbeteiligt wischte Matthew Späne von seinen Knien. Eine Ahnung durchlief Greg, dass sein Vater Hannas Briefe gelesen haben könnte und längst von Ola wusste. Angesichts dieser ungeheuerlichen Vermutung wurde ihm schlecht.
    »Du hast sie beleidigt, Vater. Sie und mich.«
    »Und du hast mich beleidigt«, presste Matthew hervor. »Du hast deine Vorväter beleidigt. Du hättest nicht mit ihr schlafen dürfen.«
    »Weil sie eine Babathlid ist?«, rief Greg aufgebracht. Er wusste selbst nicht, warum er seinen Vater in dem Glauben ließ, dass er mit Hanna geschlafen hatte. Vielleicht, weil er den alten Mann provozieren wollte. Vielleicht auch, weil er es sich wünschte.
    Zornig schleuderte Matthew das Schnitzmesser in die Ecke. »Weil sie ein Nichts ist.«
    »Du redest von einem Menschen, Vater.«
    »Aber sie gehört nicht hierher. Warum willst du das nicht verstehen?«
    »Jim gehörte auch nicht hierher und du hast ihn aufgenommen.«
    »Jim war ein …«, der Alte zögerte, ». . . er war ein Nuu-cha-nulth. Die Fremden kommen nur aus einem einzigen Grund hierher: um uns und unserem Land den Todesstoß zu versetzen.«
    »Das ist doch lächerlich, Vater.« Greg stieß ein ungläubiges Schnauben aus. »Die Touristen kommen, um sich große Bäume, seltene Vögel und Indianer anzusehen.«
    Matthews Gesicht blieb starr, seine dunklen Obsidianaugen glitzerten. »Sie kommen, um zuzusehen, wie wir leben. Als wären wir Tiere in einem Zoo.«
    »Sie haben eben ihre Vorstellungen und möchten sie bestätigt wissen.« Greg hob die Schulten. »Das ist doch ganz normal. Kein Winkel der Welt ist mehr vor Touristen sicher, Neah Bay ist da keine Ausnahme.«
    »Die Fremden machen Feuer in unseren Wäldern und fangen unsere Fische.«
    »Wir haben es ihnen verboten. Überall stehen Schilder mit Strafandrohungen.«
    »Und du glaubst, das hält sie ab?« Matthew Ahousat schüttelte resigniert den Kopf. »Die Menschen sind durch nichts zur Vernunft zu bringen. Doch eines Tages wird die wunde Erde sie abschütteln und nur ein paar wenigen die Gnade erweisen, sie weiter zu bewohnen.«
    Greg stieß ein spöttisches Lachen aus und fing an, vor seinem Vater auf und ab zu gehen. »Und du hoffst tatsächlich, einer der Erwählten zu sein, nur weil du dich an längst überholte Regeln hältst?« Er hätte nie gedacht, dass die Gedanken des alten Mannes so weit gingen. Zum ersten Mal begann Greg, am Verstand seines Vaters zu zweifeln.
    »Die Welt sollte zur Kenntnis nehmen, dass wir Makah uns von allem fernhalten können, wenn wir das wollen«, sagte Matthew. »Was spielt es für eine Rolle, was um uns herum passiert, solange die Dinge, die uns etwas bedeuten, Bestand haben.«
    »Wie kannst du nur so verblendet sein«, brauste Greg auf. »Neah Bay ist kein Nationalpark für ein Volk von Auserwählten. Wir gehören zu dieser Welt, Vater, wir tragen Verantwortung für sie. Warum nur klammerst du dich so an der Vergangenheit fest?«
    Der Alte gab keine Antwort. Mit einem Mal verflog Gregs Wut und machte einer tiefen Resignation Platz. Matthew Ahousat war unbelehrbar. Er war ein alter Mann. Jemand, der die Dinge nicht mehr ändern, der sie aber auch nicht festhalten konnte, obwohl er das mit stoischer Bitterkeit versuchte. Aber er war auch sein Vater, die Familie, die Greg noch geblieben war.
    Beinahe tat er ihm leid.
    Matthew Ahousat starrte auf die Decke, unter der sich die noch unfertige Wolfsmaske befand. Die Schatten vergangener Zeiten waren jetzt ständig hinter ihm her. Doch seine Wünsche wurden von geheimnisvollen Mächten immer wieder durchkreuzt. Was konnte er noch tun, um seinen Sohn, seine einzige Hoffnung, weg von dieser Frau und auf den richtigen Weg zu bringen?
    »Die Vergangenheit bedeutet unser Überleben, Greg«, sagte er schließlich. »Die Weißen ignorieren die Wahrheit der Zeit, sie merken nicht, dass uns das Wasser bis zum Hals steht.«
    »Das ist doch nichts Neues, Vater«, erwiderte Greg.
    »Aber unsere jungen Leute im Ort glauben, wenn sie sich die Haare wachsen lassen und ein bisschen Zauber am Strand machen, könnten sie die Dinge aufhalten. Dabei scheren sie sich einen Dreck um das, was wirklich wichtig ist. Der Stammbaum der ranghohen Familien – die Lineage

Weitere Kostenlose Bücher