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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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der Hoffnung auf leichte Beute.
    Eine Weile beobachtete Hanna das Treiben, bevor sie einen kleinen linierten Block herausholte und einen Brief an Ola zu schreiben begann. Sie berichtete ihrer Tochter von dem kleinen Strandhaus, in dem sie wohnte, von einem Indianermädchen, das wunderschöne Körbe flechten konnte, und sie erzählte davon, wie viele verschiedene Arten von Regen es hier gab. Ab und zu machte sie eine kleine Zeichnung für Ola. Zuletzt fügte sie noch ein paar Zeilen an ihre Eltern hinzu und ließ sie wissen, dass sie jemanden gefunden hatte, der ihr bei der Suche nach Jim behilflich sein würde.
    Als sie zurück in den Ort lief, um in Washburnes Supermarkt eine bunte Postkarte für Ola zu kaufen, die sie mit in den Brief stecken wollte, war die Sonne schon wieder verschwunden und ein leichter Wind fegte vom Meer her durch die breiten Straßen. Hanna ging auf das kleine Postamt gleich neben dem Supermarkt und schickte den Brief ab.
    Draußen fegte der Wind ihr eine alte Plastiktüte um die Beine. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt herrschte reges Treiben und hin und wieder starrte jemand sie an.
    Hanna kam sich vor wie ein exotisches Tier, das es in fremdes Gebiet verschlagen hatte. Sie dachte an Grace Allabushs rätselhafte Warnung, und als sie loslief, lenkte eine Mischung aus Ärger und Neugier sie in Richtung Allabush-Haus.
    Mit einer Dechsel, einem Werkzeug mit einer leichten Krümmung am Rand der Klinge, hatte Greg Ahousat seinen Zedernstamm von der Deckschicht befreit. Das rote Holz darunter war freigelegt und nun mit einem Muster aus Beilhieben überzogen. Greg hatte sich für die Seite mit den wenigsten Astknoten entschieden und dem Stamm mit der Kettensäge eine gerade Rückseite geschnitten. Jetzt lag der Stamm vor ihm, bereit, die verschiedenen Tiere, die in dem Holz verborgen waren, hervortreten zu lassen.
    Greg schlug am oberen Ende des Stammes einen kleinen Nagel in die Mitte, befestigte eine Schnur daran und spannte sie längs über den ganzen Stamm hinweg zum unteren Ende. Als er die genaue Mittellinie gefunden hatte, schlug er einen zweiten Nagel in das andere Ende und fixierte sie auf diese Weise.
    Danach begann er, den Stamm mit einem Wachsstift anzuzeichnen. Von der Mitte ausgehend, überzog Greg den ganzen Stamm mit einem gleichmäßigen Gitter aus schwarzen Linien. Auf dem Entwurf, den er am gestrigen Abend gemacht hatte, befand sich dieses Raster ebenfalls. Es erleichterte ihm die Übertragung der Tierfiguren auf den großen Stamm. Konzentriert und mit sicherer Hand begann Greg, die Figuren anzuzeichnen: Ganz unten saß ein Bär. Darüber Otter, Lachs und Wolf. Ganz obenauf hockte Rabe. Damit die Figuren auch symmetrisch wurden, verwendete Greg für Augen und Flügel Schablonen.
    Als er mit dem Anzeichnen fertig war, begann er, mit der Kettensäge größere Stücke aus dem Stamm zu sägen. Die groben Stellen bearbeitete er später mit dem Beitel, einem Eisenmesser mit D-förmigem Griff.
    Schon den ganzen Morgen, während er den Stamm bearbeitete, war zwischen ihm und seinem Vater kein einziges Wort gefallen. Matthew saß drinnen in der Werkstatt und Greg arbeitete draußen unter dem Dach. Er wusste nicht, woran sein Vater schnitzte, vermutete aber, dass es eine Tanzmaske war. Niemand durfte sie sehen, bis sie zum ersten Mal bei einem offiziellen Tanz getragen wurde.
    Je länger Greg arbeitete, desto verdrossener wurde er. Er wusste, dass sein Vater ihn durch die halbblinde Scheibe beobachtete und missbilligte, dass er für seine Arbeit am Pfahl die Kettensäge benutzte. Aber zum Teufel noch mal, der Pfahl würde bloß vor einem Café stehen.
    In seinem Kopf hatte Greg sich mittlerweile einige Sätze zu seiner und Hannas Verteidigung zurechtgelegt, er wollte die Anschuldigungen seines Vaters nicht auf sich sitzen lassen. Schließlich gab er sich einen Ruck, legte sein Werkzeug zur Seite und betrat die Werkstatt, um seinen Vater zur Rede zu stellen.
    Mit einem mürrischen Laut schleuderte Matthew eine Decke über seine Arbeit, aber Greg hatte bereits gesehen, dass es eine Maske war.
    »Wo hast du die Briefe, die Hanna an Jim geschrieben hat, nachdem er aus Deutschland abgereist war?«, fragte er geradeheraus.
    »Ich habe keine Briefe«, antwortete Matthew Ahousat mit unbeweglicher Miene. Kein Zeichen der Verwunderung darüber, dass Jim Deutschland wieder verlassen hatte.
    »Aber Hanna hat sie an diese Adresse geschickt.«
    Matthew Ahousat sah zu seinem Sohn auf. »Was will sie

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