Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
sie mir versprochen hat? Wo bleibt der Erbe, der den Nörgeleien meiner Mutter und den tadelnden Blicken meines Vaters ein Ende macht?«
»Eine Frau kann eine Schwangerschaft nicht erzwingen«, wagte Sedric leise einzuwenden. Feige, wie er war, getraute er sich nicht hinzuzufügen: »Noch kann sie von alleine schwanger werden.« Er hütete sich, dies auszusprechen.
Doch obwohl er die Worte für sich behielt, schien Hest sie zu vernehmen. »Vielleicht kann sie die Schwangerschaft nicht erzwingen, aber jeder weiß, dass es Wege gibt, wie eine Frau die Empfängnis verhindern kann. Oder wie sie ein Kind loswerden kann, das ihr nicht in den Kram passt.«
»Ich glaube nicht, dass Alise so etwas tun würde«, sagte Sedric ruhig. »Sie scheint mir sehr einsam zu sein. Ein Kind würde sie bestimmt willkommen heißen. Vor allem aber hat sie geschworen, alles zu tun, um dir einen Erben zu schenken. Sie würde ihr Wort niemals brechen. So gut kenne ich Alise.«
»Wirklich?«, spie Hest ihn regelrecht an. »Dann hätte dich unser Gespräch vorhin sicherlich überrascht! Da hat sie sich nämlich schlichtweg geweigert, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen, bis sie von ihrer Reise in die Regenwildnis zurückgekehrt ist. Sie hatte irgendwelchen Unsinn gebrabbelt, dass sie nicht in schwangerem Zustand reisen wollte. Und dann hat sie allein mir die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, dass sie noch nicht schwanger ist! Und sie hat gedroht, mich wegen meines, wie sie meint, Versagens öffentlich zu diskreditieren!« Er griff nach einem Federhalter aus Elfenbein und schleuderte ihn zu Boden. Als Sedric das Splittern hörte, zuckte er zusammen. Nun war Hest in Rage, und wenn er sich morgen daran erinnerte, dass er den wertvollen Federhalter zerschmettert hatte, würde er von Neuem einen Tobsuchtsanfall bekommen. Hest entfuhr ein wütendes Zischen. »Das werde ich nicht dulden. Wenn mein Vater mich noch einmal belehrt, wenn er eine weitere Andeutung macht, wie ich dieser roten Kuh am besten ein Kalb verpasse, dann werde ich …« Die Erniedrigung erstickte jedes weitere Wort. In letzter Zeit war Hest häufiger mit seinem Vater aneinandergeraten, und jedes Mal hatte er danach tagelang schlechte Laune gehabt.
»Das sieht der Alise, die ich kenne, nicht ähnlich«, versuchte Sedric abzulenken. Dabei war ihm bewusst, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte. Hest übertrieb mitunter oder wandelte eine Geschichte ab, um jemanden zu überzeugen, aber zu regelrechten Lügen griff er selten. Wenn er erzählte, dass Alise ihm gedroht hatte, dann hatte sie das auch getan. Auch wenn das nicht mit dem zusammenpasste, was Sedric über Alise wusste. Die Alise, die er kannte, war sanftmütig und nachgiebig. Dennoch hatte er sie gelegentlich auch sehr halsstarrig erlebt. Konnte ihre Halsstarrigkeit so weit gehen, dass sie ihrem Gatten drohte, damit der sein Versprechen wahr machte? Sedric war sich nicht sicher. Hest konnte ihm die Unsicherheit im Gesicht ablesen und schüttelte den Kopf.
»Du kannst es einfach nicht lassen, in ihr ein engelsgleiches Mädchen zu sehen, das freundlich zu dir war, als sonst niemand mit dir spielen wollte. Vielleicht war sie einst sogar so, aber ich bezweifle es. Vielmehr vermute ich, dass sie nur nett zu jemandem war, der genauso unbeholfen und alleine war wie sie selbst. Eine Art Bündnis unter Außenseitern. Oder verwandten Seelen, falls dir das lieber ist. Aber heute ist sie nicht mehr so, und du solltest dich in deinem Urteil nicht von Erinnerungen täuschen lassen. Sie ist nur darauf aus, so viel wie möglich aus unserer Beziehung herauszuholen und dabei selbst möglichst wenig beizusteuern.«
Sedric schwieg. Unbeholfen und alleine. Außenseiter. Die Worte polterten in seinem Kopf wie scharfkantige Steine. Ja, das war er früher gewesen.
Wie immer hatte Hest die Wahrheit gesagt. Doch er hatte ein Talent, diese mit winzigen, schmerzhaften Beleidigungen zu spicken, die aber ebenfalls einen wahren Kern hatten. Unwillkürlich kam Sedric eine Erinnerung. Ein heißer Sommertag in Chalced. Hest und er waren zu einem vergnüglichen Nachmittag ins Haus eines Kaufmanns eingeladen worden. Die Zerstreuung bestand aus einem wilden Keiler in einer runden Grube. Den Gästen hatte man Pfeile und Blasrohre gegeben. Alle hatten sich köstlich dabei amüsiert, das gefangene Tier aufzustacheln, und sie hatten sich gegenseitig in ihrem Bestreben übertroffen, die empfindlichsten Stellen zu erwischen. Die Vergnügung hatte
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