Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
gehen. Soll sie nur in die Regenwildnis fahren und Drachen und Elderlingen hinterherjagen, damit die arme geplagte Seele endlich Ruhe hat. Soll sie halt mein Geld verjubeln, meine Börse ist ja bodenlos. Und du, lieber, lieber Sedric, hast ja so recht. Es sollte kein Problem darstellen, eine angemessene Begleitung für sie aufzutreiben. Du hast mir heute Abend ja nun oft genug erzählt, was für eine wunderbare Freundin sie dir war. Also wirst du bestimmt mit dem größten Vergnügen mit ihr in die Regenwildnis reisen. Offensichtlich langweilt es dich ja, der Sekretär eines derart unehrenhaften, selbstsüchtigen Mannes zu sein. Dann bist du ab jetzt der Sekretär, der Diener von Alise. Lass dir ihre Aufzeichnungen diktieren und schleppe ihre Taschen. Schnüffle im Morast nach einer abgeworfenen Drachenschuppe. Das erspart mir sowohl ihren als auch deinen Anblick für einen Monat! Ich muss mir über meine eigene Reise Gedanken machen, und es scheint, als müsse ich mir dafür einen freundlicheren Begleiter suchen.« Als wäre die Sache damit vollständig geklärt, ging Hest zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Dann griff er zur Feder und ging die Blätter vor sich durch, als wäre Sedric gar nicht mehr anwesend.
Einige Augenblicke war Sedric sprachlos. Dann keuchte er: »Hest, das ist doch nicht dein Ernst!«
Doch der andere beachtete ihn nicht mehr. Mit jäher Gewissheit begriff Sedric, dass die Entscheidung gefallen war.
Siebzehnter Tag des Zuchtmonds
Siebzehnter Tag des Zuchtmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Erek, Vogelwart in Bingtown,
an Detozi, Vogelwart in Trehaug
Vom Händlerkonzil in Bingtown an das Händlerkonzil der Regenwildnis in Trehaug und Cassarick. Eine Nachfrage bezüglich der jüngsten Gerüchte und Spekulationen über den Gesundheitszustand und das Wohlergehen der Jungdrachen, sowie über ihren Marktwert als Kapitalanlage oder Handelsware, mit Bezug auf unseren ursprünglichen Vertrag mit der Drachin Tintaglia.
Detozi,
es war sehr angenehm, Euren Onkel Beylon kennenzulernen. Er spricht sehr lobend von Euch und besitzt offenbar großes Wissen über Tauben. Ich habe ihm zwei Säcke mit ausgezeichneten getrockneten gelben Erbsen mitgegeben. Ich habe festgestellt, dass das Federkleid meiner Vögel davon überaus profitiert, wenn man die Tiere regelmäßig mit diesen Erbsen füttert. Ich hoffe, dass sich die Gerüchte, wonach die Drachen wegen einer Seuche geschlachtet werden müssen, als falsch erweisen!
Erek
8 · Bewerbungsgespräche
8
Bewerbungsgespräche
T hymara hatte sich schon immer unwohl gefühlt, wenn sie auf neue Menschen traf. Unweigerlich musterten diese sie und stellten irgendwann fest, dass sie eigentlich gar nicht hätte existieren dürfen. Alleine vor einem Komitee aus einigen der angesehensten Regenwildhändler zu stehen und Fragen zu ihrer Person zu beantworten, war noch viel schlimmer. Das Gremium bestand aus acht, überwiegend männlichen Händlern in mittleren Jahren, allesamt in ihre Amtstrachten gekleidet. Sie saßen auf wuchtigen Stühlen aus dunklem Holz an einem langen, schweren Tisch in einem opulent eingerichteten Zimmer. Der Boden bestand aus dicken Bohlen, und Wände und Decke waren ebenfalls aus Holz. Nie zuvor war Thymara in einem derart massiven, stabil gebauten Haus gewesen. Sie und ihr Vater hatten weit am Stamm hinuntersteigen müssen, um hierherzugelangen. Jetzt wartete er draußen auf sie. Die Versammlungshalle der Regenwildhändler war so alt und so nah am Boden, dass sie mehr an ein jamaillianisches Herrenhaus erinnerte als an ein Gebäude der Regenwildnis. Nur weit unten am Stamm gab es derart große und beeindruckende Gebäude. Der Bau strahlte ein eigenartiges Gefühl von Schwere aus, das Thymara nicht abzuschütteln vermochte. Die dicken Wände vermittelten ihr kein Gefühl von Sicherheit, vielmehr rechnete sie jeden Augenblick damit, dass das Bauwerk aufgrund seines Gewichts in die Tiefe stürzen würde. Selbst die Luft schien hier drinnen regungslos und wie gefangen zu sein.
Offenbar waren nur zwei der Gremiumsmitglieder in der Lage, ihr in die Augen zu schauen. Die anderen sahen an ihr vorbei oder auf die Papiere, die vor ihnen auf dem langen Tisch lagen. Einer der beiden, die sie forschend musterten, war Händler Mojoin, der Vorsitzende des Komitees. In seinen Zügen stand deutlich geschrieben, was er dachte, bevor er unverblümt fragte: »Wie kommt es, dass man dich nach der Geburt nicht
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