Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Stufe über der von Straßenkötern, und meine Schlafkoje riecht nach ihrem Vorbesitzer. Baden kann ich nicht, Rasieren ist eine Herausforderung, und jedes Kleidungsstück, das ich für diese Expedition gepackt habe, riecht nun nach dem Lagerraum. Ich habe keinen besonderen Komfort auf unserer Reise erwartet, aber dass wir so tief im Schmutz landen würden, das hätte ich nicht gedacht.«
Die Wucht seiner Worte traf Alise wie ein betäubender Schlag. Da er ihr Schweigen als Widerspruch auffasste, schäumte er weiter. »Na, du kannst nicht so tun, als würde es dir hier gefallen, auch wenn du ein übel riechendes Zimmer ganz für dich alleine hast. Dieser Pirat erweist dir keinerlei Achtung. Bei jeder Gelegenheit ertappe ich ihn dabei, wie er dich anglotzt oder dich ›meine Liebe‹ nennt, als wärest du irgendeine Wirtshausdirne, bei der er Eindruck schinden will. Er verbringt mehr Zeit bei dir hier oben, als dass er sich um sein Schiff kümmert.«
Da fand sie ihre Sprache wieder. »Und du meinst, das sei unangemessen? Oder dass mein Verhalten dabei tadelnswert sei?«
»Ach, Alise, du kennst mich doch.« Die Schärfe wich aus seinem Ton. »Ich weiß doch, dass du nie etwas Unehrenhaftes tun würdest, und schon gar nicht mit einem stinkenden Flussschiffer, der glaubt, ein Hemd sei sauber, nur weil er es in den letzten zwei Tagen nicht getragen hat. Nein, ich mache dir keine Vorwürfe. Du bist eine sehr zielstrebige Frau, und trotz der Enttäuschung über die Drachen hast du unbeirrt Wege gesucht, sie dennoch zu sehen. Ich fühle mich hier an Bord erbärmlich unwohl. Aber ich bin erleichtert, dass du dir darüber bewusst bist, was auf uns zukommt und dass unser Besuch in der Regenwildnis nicht so lange währen wird, wie du ursprünglich vorgesehen hast.«
»Sedric, das tut mir so leid! Du hast kein Wort gesagt. Mir ist nicht aufgefallen, dass du so unglücklich bist. Vielleicht findest du uns morgen eine geeignete Unterkunft, ja, und dann kannst du ein heißes Bad nehmen und eine anständige Mahlzeit haben. Wenn du magst, kannst du lange ausschlafen. Ich bin mir sicher, dass ich dich nicht brauche, um mit dem Konzil zu sprechen. Es würde mich überraschen, wenn sie mir für den Besuch bei den Drachen keinen Führer anbieten würden. Es besteht auch überhaupt keine Veranlassung, weshalb du mitkommen solltest. Ursprünglich bin ich ja davon ausgegangen, dass ich lange und ausführliche Gespräche mit den Kreaturen führen würde, und da hatte ich gehofft, dass du für mich mitschreiben und ein paar Skizzen anfertigen würdest. Jetzt aber, da ich weiß, dass es kaum anders als ein Besuch in der Menagerie sein wird, gibt es keinen Grund mehr, weshalb ich dich damit quälen sollte.« Entschlossen verbarg sie ihre Enttäuschung, als sie ihm dieses Angebot machte. Sie wünschte sich, ihn an ihrer Seite zu haben, wenn sie den Drachen begegnete, und das nicht nur um eines vertrauten Beistands willen.
Sie wollte einen Zeugen dabei haben. Sie malte sich aus, wie sie nach ihrer Heimkehr in Bingtown bei einem opulenten Mahl sitzen würden. Plötzlich würde sie jemand nach ihrer Zeit bei den Drachen fragen. Bescheiden würde sie antworten, dass das Ganze kein großartiges Abenteuer gewesen sei, doch Sedric würde sich einmischen, um ihr freundlich zu widersprechen. Er würde daraus eine geistreiche Geschichte spinnen. Sie hatte das Bild von sich vor Augen, wie sie in schwarzen Stiefeln und Leinenhosen, die sie extra für diese Begegnung gekauft hatte, durchs flache Uferwasser auf die geschuppten Giganten zuschritt. Die Vorstellung entlockte ihr ein Lächeln.
Bevor sie die Drachen sehen würde, musste sie erst das Händlerkonzil Cassaricks aufsuchen, sich dort vorstellen und eine Genehmigung einholen. Und auch bei dieser Angelegenheit hatte sie auf Sedrics Begleitung gehofft. Denn sie hatte keine Ahnung, mit wem sie es zu tun haben würde, wenn sie zum Konzil ging. Deshalb wollte sie gern an Sedrics Arm dort auftauchen, damit alle sehen konnten, dass sie eine Frau war, die eines derart hübschen und reizenden Begleiters würdig war. Doch er hatte für diese Reise ohnehin schon so viele Opfer gebracht. Darum war es für sie nun an der Zeit, ihre Eitelkeit hintanzustellen und an sein Wohl zu denken.
Sedric richtete sich auf. »Alise, das wollte ich damit nicht sagen! Ich schätze deine Gesellschaft, und wenn du die Drachen sehen wirst, werde ich mich darüber wahrscheinlich genauso freuen wie du. Entschuldige, dass ich dich
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