Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
wie: Nun ja, sie müssen schon aus eigener Kraft gehen. Zu Fuß. Und wohin? Das hat man mir noch nicht zur Gänze mitgeteilt. Nur, dass es stromaufwärts geht. Das Warum ist ziemlich eindeutig. In der Regenwildnis weiß jedes Kind, dass die Drachen für Cassarick mehr als nur ein Ärgernis geworden sind. Für die Arbeiter in der verschütteten Stadt und diejenigen, die dort wohnen, stellen sie eine echte Gefahr dar. Sie sind hungrig, reizbar, und einige von ihnen sind nicht sehr helle. Nicht helle genug, um zu begreifen, dass sie nicht die Hand abbeißen dürfen, die sie füttert, falls Ihr versteht, was ich damit sagen will. Ich weiß nicht, wie sie die Drachen zum Gehen überredet haben, aber sie haben es hinbekommen. Wenn sie eine Mannschaft zusammenstellen können, die die Drachen auf dem Weg hütet, werden sie sie so bald wie möglich von hier wegführen.«
Ihr wurde schummrig. Was, wenn sie bei ihrer Ankunft herausfinden musste, dass die Drachen bereits fortgeschickt worden waren? Was dann? Sie fand ihre Stimme, um ihre Befürchtungen auszusprechen. Zu ihrem Erstaunen grinste der Kapitän sie unbekümmert an. »Tja, meine Dame, das ist es, was ich Euch sagen wollte. Seht, ich bin ein Teil der Mannschaft, die sie zusammenstellen wollen. Und so weit ich es Euch mitteilen kann, wird das Unternehmen nicht stattfinden, wenn ich Nein sage. Mag sein, dass das Konzil das nicht weiß, aber außer meinem alten Teermann gibt es keinen Kahn auf dem Fluss, der das flache Gewässer befahren kann. Kein anderer Kahn kann diesen Vertrag annehmen. Bisher habe ich immer nur darüber nachgedacht, wie viel Geld ich verlangen soll. Aber letzten Endes kann ich auch eine weitere Bedingung stellen, und zwar, dass Ihr die Möglichkeit bekommt, mit den Drachen zu sprechen, bevor sie weggebracht werden. So. Was haltet Ihr davon?«
Sie war vollkommen verdutzt. »Es überrascht mich, dass Ihr mich in eine derart vertrauliche Angelegenheit einweiht. Und ich bin noch viel mehr erstaunt, dass Ihr so etwas für eine Fremde wie mich tun würdet.« Sie stützte sich auf die Armlehne ihres Stuhls und hob das Netz vor ihrem Gesicht, um ihm in die Augen zu sehen. »Warum?«, fragte sie ehrlich verblüfft.
Er zuckte mit den Schultern, und sein Grinsen wurde verlegen, bevor er wegsah. »Liegt wohl daran, dass ich Euch mag, meine Dame. Und ich möchte, dass Ihr bekommt, weshalb Ihr so weit gereist seid. Sie zwei, drei Tage länger warten zu lassen, wird schon niemanden umbringen.«
»Ich glaube auch nicht, dass es jemanden umbringt«, erwiderte sie voller Dankbarkeit und Erleichterung. »Kapitän Leftrin, würdet Ihr mir den Gefallen tun, mich Alise zu nennen?«
Mit jungenhafter Freude im wettergegerbten Gesicht sah er sie an. »Oh, das mache ich mit dem größten Vergnügen!« Dann sah er wieder weg und wechselte nur allzu offensichtlich das Thema. »Eine schöne Nacht heute, nicht wahr?«, stellte er fest.
Sie ließ das Insektennetz herunterfallen, um ihr Erröten zu verbergen. »Die schönste Nacht seit Langem«, gab sie zurück.
Schließlich entschuldigte er sich, verließ das Dach des Deckshauses und ließ sie von mädchenhafter Euphorie erfüllt zurück. Er mochte sie. Er mochte sie so sehr, dass er ihretwegen einen wichtigen Auftrag aufs Spiel setzte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wann ein Mann das letzte Mal zu ihr gesagt hatte: »Ich mag Euch.« Doch Ihr fiel kein einziges Mal ein. Hatte Hest dies jemals zu ihr gesagt während der frühen Phase seiner Werbung? Nicht, dass sie sich daran erinnern konnte. Und selbst wenn er es gesagt hätte, hätte es bei ihm lediglich bedeutet, dass sie seine Zwecke erfüllte. Wenn Leftrin es sagte, hieß das, dass er aus allein diesem Grund etwas riskierte. Wie erstaunlich.
Und als er wenige Augenblicke später mit zwei irdenen Bechern voll starkem, gesüßtem Kaffee zurückkam, meinte sie, noch nie zuvor mit jemandem etwas so Herrliches getrunken zu haben.
Das rustikale Leben auf dem Kahn hatte durchaus seinen Reiz. Im Bett des Kapitäns mit seinen dicken Wolldecken und der bunt zusammengestückelten Tagesdecke zu schlafen, fühlte sich ungewohnt an, und über allem lag auch ein Hauch von Gefahr. Überall in dem Zimmer waren seine Instrumente verteilt, und es roch nach Tabak. Wenn sie erwachte, leuchtete die Sonne durchs Fenster, und das ausgeklügelte Windspiel mit den kleinen Fischen klimperte in der morgendlichen Brise. Beim Gedanken, dass er jederzeit anklopfen konnte, um seine Pfeife,
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