Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
erstaunlich bereitwillig gezeigt, ihnen andere Quartiere zu geben.
»Daran habe ich schon gedacht, und das Material ist unterwegs. Mir macht es nichts aus, meine Koje für ein, zwei Tage abzugeben, aber länger geht einfach nicht. Ihr werdet schon sehen. Wir bauen an Deck ein paar provisorische Hütten. Das habe ich schon für Vieh gemacht, und dann wird es auch für Passagiere gehen. Teermann ist so gebaut, dass man ihn vielfältig einsetzen kann. Oh, schaut mich doch nicht so an! Ihr werdet schon sehen, ich werde es so bequem einrichten, dass sogar der Stutzer da drüben zufrieden ist.« Dabei hatte er den Kopf mit einem unverschämten Grinsen in Sedrics Richtung geschoben.
Leftrin hatte seine Worte wahr gemacht. Davor waren ihr die Halterungen im Boden gar nicht aufgefallen, mit deren Hilfe man leicht Aufbauten anbringen konnte. Die dadurch entstandenen Kammern waren schmucklos und nicht viel größer als eine Box in einem Stall, boten aber zumindest eine Privatsphäre. Nachdem eine Hängematte aufgehängt und ihr Gepäck hereingeschafft worden war, stellte sie sich die Kisten zu einem gemütlichen Nest zusammen. Hier konnte sie sitzen und schreiben, und sie bekam sogar eine eigene Lampe. Allerdings schärfte Leftrin ihr ein, unablässig wachsam zu bleiben. »Flammen und tropfendes Öl sind sehr gefährlich für Schiffe«, hatte er betont. Ihre Unterkunft grenzte an Sedrics Kammer, und sobald die Wände aufgestellt waren, verzog ihr Freund sich darin und machte die Tür hinter sich zu.
Dort war er geblieben, bis das Schiff in Cassarick abgelegt hatte. Weniger als eine Stunde später legte es vor dem schlammigen Ufer der Drachen wieder an. Sedric sah schon viel besser aus als vorhin. Zugriff auf seine Garderobe, Abgeschiedenheit, ein Nickerchen und eine einsame Mahlzeit schienen ihn erfrischt zu haben, wenn auch sein Charme noch nicht zurückgekehrt war. Er hatte Alise nicht auf ihr selbstherrliches Verhalten angesprochen, doch sein bissiger Tonfall verriet, dass er ihr nicht verziehen hatte. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich von ihm ab. Mit Sedric würde sie sich später befassen. Jetzt wollte sie sich den Anblick der jungen Drachen nicht verderben lassen.
»Die sind riesig!« Sedric klang etwas eingeschüchtert. »Du willst doch hoffentlich nicht da runtergehen und dich unter sie mischen!«
»Natürlich will ich das. Irgendwann.« Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich sicherer fühlte, wenn sie dies alles von Teermanns Deck aus beobachtete.
Unten am Strand hob der Golddrache plötzlich den Kopf. Die kleine Gestalt neben ihm regte sich. Der Drache schaute in Alises Richtung, hob die Nüstern und schnaubte vernehmlich. Dann rollte er sich auf die Beine und humpelte schwerfällig auf sie zu.
»Was will der denn?«, murmelte Leftrin angespannt, während der Drache sich dem Kahn näherte. Das Tier drehte den Kopf auf dem langen Hals, und mit glänzenden schwarzen Augen und voller Neugier betrachtete er Teermann . Er kam noch ein paar weitere Schritte näher, machte den Hals lang und schnüffelte an dem Schiff. Sedric trat von der Reling zurück. »Alise«, warnte er. Doch der Kapitän hatte sich nicht gerührt, deshalb beschloss auch sie, zu bleiben, wo sie war. Kurz darauf stieß der Drache sacht mit dem Kopf gegen den Schiffsrumpf. Teermann bewegte sich nicht, doch einen Atemzug später stürzten Swarge und Hennesey an die Seite des Kapitäns. Der große Eider folgte ihnen und starrte düster zu dem Drachen hinunter. Selbst Grigsby, der orangefarbene Schiffskater eilte zu ihnen. Er sprang auf die Reling, funkelte den Drachen an, wedelte mit dem gestreiften Schwanz und stieß unterdrückte Katzenflüche aus. »Es ist nichts passiert«, beruhigte Leftrin die anderen leise. Er legte eine besänftigende Hand auf den Rücken des Katers.
»Noch nicht«, gab Hennesey bitter zurück.
»Wird es gefährlich?«, fragte Alise.
»Ich weiß nicht«, antwortete Leftrin. Doch als er sah, dass der Drachenhüter, ein Mädchen, den Goldenen eingeholt hatte, fügte er hinzu: »Ich glaube nicht.«
Kurz darauf folgte das gigantische Geschöpf dem Mädchen friedlich zurück zu seinem Sonnenplatz. Alise entließ die angehaltene Luft mit einem Seufzer. »Seht nur, wie sich das Sonnenlicht auf ihm spiegelt. Seine Zeichnung ist so filigran. Was für erstaunliche Kreaturen. Selbst missgestaltet sind sie unheimlich schön. Natürlich ist die Königin am Ende des Strands am prachtvollsten, aber das war zu erwarten.
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