Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Drachenweibchen waren schon immer die farbenfroheren. Meinen Studien zufolge konnten sie sehr herrisch, ja sogar arrogant sein, aber wenn man ihre angeborene Intelligenz bedenkt, ist diese ›Arroganz‹ vielleicht die ganz natürliche Einstellung von überlegenen Köpfen. Seht sie euch an. Sie scheint die Sonne regelrecht aufzusaugen und aus sich selbst heraus zu leuchten.«
Die blaue Drachin und ihre Hüterin waren ein gutes Stück von ihnen entfernt, mindestens dreißig Schritte. Alise war überzeugt, dass ihre Stimme nicht so weit getragen haben konnte, doch das blaue Weibchen hob plötzlich den Kopf vom getrockneten Morast und betrachtete Alise mit kreisenden, kupferfarbenen Augen. Nach einer Weile sagte die Drachin klar vernehmlich: »Hast du von mir gesprochen, Bingtownfrau?«
Fünfter Tag des Kornmonds
Fünfter Tag des Kornmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug,
an Kim, Cassarick
Ist es Eurem Spatzenhirn entgangen, dass die Nachricht, die Ihr von Erek erhalten habt, Informationen zu einem speziellen Futter enthielt, das der Gesundheit und Langlebigkeit der Tauben zuträglich sein könnte? Ist Euch nie in den Sinn gekommen, dass es schlicht und ergreifend kostensparend war, eine solche Nachricht einer Taube mitzugeben, die ohnehin bereits eine offizielle Korrespondenz transportierte? Der Gedanke, dass er und ich einen persönlichen Austausch führen, ist einigermaßen lächerlich, wenn man bedenkt, dass wir uns noch nie begegnet sind. Falls Ihr dieses Schreiben dem Konzil zur Kenntnis bringen möchtet, oh, dann bitte sehr! Dann haben wir wenigstens die Gelegenheit, über den erbärmlichen Zustand der Taubenschläge in Cassarick zu reden und über den Tod von über zwanzig Küken, weil eine Schlange in Euren Schlag eindringen konnte. Ach, und über die Gerüchte, dass Taubenküken vermehrt auf dem Speiseplan Eurer Familie stehen, seit Ihr den Posten angenommen habt.
Detozi
12 · Unter Drachen
12
Unter Drachen
E r konnte nicht glauben, dass sie es getan hatte. Er konnte es einfach nicht fassen. Diese Frau war nicht die Alise Kincarron, mit der er aufgewachsen war! Sie war noch nicht einmal die Alise Finbok, mit der er in den letzten fünf Jahren häufig zu Abend gegessen hatte. Er war sich nicht im Klaren darüber, woher dieses tyrannische, zänkische Weib plötzlich gekommen war, doch er wünschte sich, es würde sich wieder verabschieden. Wenn es ihm nicht so wichtig gewesen wäre, bei ihrer Begegnung mit den Drachen anwesend zu sein, dann hätte er ihr niemals gestattet, so weit zu gehen.
Er lehnte neben ihr an der Reling. Zu ihrer Linken tat der widerliche Leftrin es ihm gleich und war fast bis auf Tuchfühlung an sie herangerückt, während Alise wie ein Wasserfall verliebten Schwachsinn über Drachen daherredete. Na schön, sollte sie es ein, zwei Tage genießen. In seiner Wut graute es ihm vor den Aufgaben, die vor ihm lagen. Er würde mit ihr an Land gehen und ihren Sekretär spielen müssen, während sie die Trampeltiere da unten befragte. Nur zu bald würde sie erkennen, was diese Tiere waren, und das wäre das Ende. Wenn er an ihre unausweichliche Ernüchterung dachte, empfand er beinahe Mitleid mit ihr. Es war dumm von ihm gewesen, dass er sich überhaupt auf eine Diskussion eingelassen hatte, als sie ihm ihre wilden Pläne, den Kapitän und die Drachen flussaufwärts zu begleiten, auseinandergesetzt hatte. Er hätte einfach nur nicken und sich einverstanden erklären sollen. Schließlich hatte er genau zugehört, was Trell und seine Frau über die Drachen gesagt hatten. Dieses Abenteuer würde nicht so verlaufen, wie Alise es sich ausmalte. Und wenn sie in ein, zwei Tagen enttäuscht und mutlos zu ihm kommen würde, würde er sie bereitwillig trösten und eine Rückreisemöglichkeit für sie beide finden. Er musste nur geduldig sein und warten. Und sich nicht übergeben, wenn Leftrin seine Schleimspur hinter ihr herzog.
Sedric sah wieder zu den beiden hinüber. Lächelnd sah sie zu Leftrin auf. War sie in diese grauhaarige Wasserratte etwa verliebt? Das war doch nicht möglich! Vielleicht kam der Kerl ja mit seinem bellenden Lachen und den übertriebenen Komplimenten bei ihr an, vielleicht wirkte das auf sie wie eine Art urwüchsiger Charme. Immerhin hatte Alise nie Gelegenheit gehabt, Männer anderer Schichten kennenzulernen. Womöglich übte Leftrins Raubeinigkeit einen gewissen Reiz auf sie aus. Er kannte sie gut genug, um zu wissen,
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