Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
aufbrechen. Die wirken nicht sonderlich intelligent.«
»Da hast du recht. Gestern Abend hat sich der Silberne an den Kahn geschmiegt, als wäre das Schiff ein anderer Drache. Heute Morgen ist er nicht mehr dort, vielleicht hat er seinen Irrtum also inzwischen erkannt. Trotzdem. Besonders klug ist das nicht. Allerdings glaube ich nicht, dass das Konzil von Cassarick uns gestatten würde, Drachen zurückzulassen«, sagte Tats. »Und wenn wir es machen würden, wären sie wahrscheinlich innerhalb einer Woche tot, denn ich bezweifle, dass sie dann noch jemand füttern würde.«
»Das ist schäbig«, meinte Sylve. »Sie waren lange Zeit so knauserig und gemein zu den Drachen. Mein armer Mercor sagt, dass er sich nicht daran erinnern kann, dass sie von Menschen und Elderlingen jemals so schlecht behandelt worden sind.«
Nortel nickte wortlos. Der Mann, der das Essen verteilte, kleckste eine Kelle Pampe in Nortels Napf. Als der Junge ihm den Napf weiter entgegenstreckte, gab er ihm missmutig einen zweiten Schlag. Dann kam Sylve an die Reihe und hielt ihren Napf über den Topf. Er hüpfte in ihrer Hand, als der Brei sein Ziel erreichte.
»Nun ja«, sagte Tats zögerlich. »Wenn wir die beiden hinter uns herlaufen lassen, ohne uns um sie zu kümmern, werden sie genauso verhungern, wie wenn wir sie hierlassen.«
»Die sind einfach nicht überlebensfähig«, stellte Alum fest. Er stand hinter Tats in der Schlange. »Mein Arbuc ist vielleicht nicht der Hellste, aber er ist schnell und kräftig. Deshalb habe ich ihn ausgewählt. Ich glaube, er hat die besten Chancen, die Reise zu überstehen.«
»Die Hebamme meinte, ich wäre nicht überlebensfähig«, sagte Thymara leise, als ihr Napf mit Grütze gefüllt wurde. Dann folgte sie Sylve zu einem Berg Brötchen, der auf einem sauberen Tuch aufgeschichtet war. Jedes der Mädchen nahm sich eines, bevor sie ihren Weg fortsetzten.
»Wir leben in einem rauen Land. In einem rauen Land braucht man Gesetze«, erklärte Alum, doch klang er nicht so überzeugt wie noch vor wenigen Sekunden.
»Ich werde mich um den Kupferroten kümmern«, sagte Tats, während die Hüter sich in einem Kreis zum Frühstück niederließen. »Ich putze ihn ein bisschen und befreie ihn von den schlimmsten Schmarotzern, bevor wir nachher aufbrechen.«
»Ich helfe dir dabei.« Jerd war Thymara gar nicht aufgefallen, doch jetzt stand sie plötzlich da und nahm neben Tats Platz. Sie legte das Brötchen auf ihren Knien ab, damit sie die Hände freihatte, um den Napf in der einen und den Löffel in der anderen zu halten.
»Dann übernehme ich den Silbernen«, verkündete Thymara. Das war vielleicht unbesonnen, denn sie hatte das Gefühl, dass Himmelspranke nicht begeistert darüber sein würde. Wahrscheinlich wäre sie eifersüchtig um jede Sekunde, die sie sich um den anderen Drachen kümmerte. Na, dann sollte sie eben sehen, wie sich das anfühlt, dachte Thymara und schwelgte kurz in Rachegelüsten.
»Ich helfe dir dabei, seinen Schwanz zu verbinden«, bot Sylve an.
»Und vielleicht kann ich ihm Fische bringen«, sagte Rapskal, während er sich zwischen Tats und Thymara quetschte. Dass er sich dabei ungefragt dazwischendrängte, war ihm in seiner heiteren Stimmung nicht bewusst. Mit Eifer machte er sich über die Grütze her. »Zu Hause hat es bei uns nie Haferbrei gegeben«, verkündete er auf einmal mit vollem Mund. »Hafer konnte sich meine Familie nicht leisten, deshalb hatten wir zum Frühstück immer Suppe. Oder Kürbiskuchen.«
Inzwischen waren fast alle Hüter in einem Kreis versammelt und hatten Näpfe und Brotstücke in der Hand. Einige nickten.
»Manchmal hatten wir Haferbrei mit Honig«, sagte Sylve. »Aber nicht oft«, setzte sie hinzu, als wäre es ihr peinlich, zuzugeben, dass sich ihre Familie etwas Derartiges leisten konnte.
»Bei uns gab es normalerweise Früchte. Alles, was mein Vater und ich am Vortag gesammelt hatten und was nicht verkauft wurde«, erzählte Thymara, wobei sie von Heimweh erfasst wurde. Sie schaute sich um. Was machte sie hier bloß? Wieso saß sie auf dem harten Lehmboden, aß Haferbrei und bereitete sich auf die Reise flussaufwärts vor? Für einen Moment ergab das alles keinen Sinn, und die Welt um sie her schwankte, als ihr bewusst wurde, wie weit entfernt sie von ihrem Zuhause und ihrer Familie war.
»Thymara?«
Beinahe wäre ihr der Löffel aus der Hand gefallen, als hinter ihr die Männerstimme erklang. Als sie sich umdrehte, sah sie Sedric, der mit
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