Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Ton einer dunklen, mit einem Bogen gestrichenen Saite gemahnte. Von den Schuppen fühlte er sich abgestoßen, die Stimme dagegen zog ihn an. Kein Wunder, dass das Mädchen neben ihm von seiner Gegenwart so aufgewühlt war. Das würde jedem so gehen.
Selbst Hest. Dieser Mann und Hest hätten sich wie zwei Hirschkäfer gerauft, die sich um ein Revier streiten. Während ihm noch dieser Gedanke durch den Kopf gegangen war, hatte ihm das Mädchen diese bezeichnende Frage gestellt, die bei ihm eine schmerzhafte Erkenntnis ausgelöst hatte. Hest war es nicht recht, dass er mit Alise befreundet war. Es gefiel Hest nicht, dass er sich mit ihr unterhielt und dass er eine Meinung über sie hatte. Sie sollte etwas sein, das Sedric ihm voll und ganz überlassen hatte, ein Teil seiner Vergangenheit, den er ihm vermacht hatte, als er ihm vorgeschlagen hatte, sie zu heiraten, um die Schwierigkeiten mit seinen Eltern loszuwerden. Sedric wollte gar nicht an die Konsequenzen dieser Erkenntnis denken. Er verdrängte die Erinnerung an andere Freundschaften, die er Hest zuliebe aufgegeben hatte, und auch die an seinen Vater, von dem er sich entfremdet hatte, weil er die Stelle bei Hest angenommen hatte, anstatt etwas Eigenes auf die Beine zu stellen oder das Geschäft seines Vaters zu übernehmen.
Stattdessen zwang er sich zurück in die Gegenwart. Er sah zu dem Mädchen, das mürrisch neben ihm herstapfte. »Entschuldige, dass ich dir Ärger eingehandelt habe.«
Sie schnaubte belustigt. »Oh, den habe ich nicht Euch zu verdanken. Den habe ich seit meiner Geburt, und dann ist er im Kurs auch noch gestiegen, als ich diesen Vertrag unterschrieben habe. Das ist alles.« Sie räusperte sich und wechselte das Thema. »Warum ist Alise denn so früh schon auf?«
»Sie kann es kaum erwarten, vermute ich. Wenn wir erst einmal unterwegs sind, wird sie wohl nicht mehr viel Gelegenheit haben, mit der Drachin zu reden.« Das war nicht die Wahrheit. Er hatte Alise geweckt und ihr vorgeschlagen, noch vor der heutigen Abreise ein Gespräch zu suchen. Von dieser Idee war sie begeistert gewesen, und sie war wenige Minuten später gestiefelt und gespornt bereitgestanden. Wider besseres Wissen hoffte er, dass sowohl er als auch sie noch vor dem Aufbruch der Drachen alles Nötige finden würden. Zwar schwand diese Hoffnung, doch dies war seine letzte Chance. Sollten die Ergebnisse der heutigen Befragung genauso langweilig sein wie das, was sie ihm am Abend zuvor von ihrem Gespräch mit der Drachin berichtet hatte, konnte er sie vielleicht davon überzeugen, dass sie mehr erfahren würde, wenn sie ein paar Tage in Cassarick verweilte und die Ruinen erforschte. Wenn das Glück ihm hold war, fänden sie auch einen Weg, Kapitän Trell zu benachrichtigen und auf Paragon heimzufahren.
»Es kann aber auch sein, dass sie bald mehr Zeit hat, als nötig ist. Ich fürchte, diese Expedition wird länger dauern, als man uns gesagt hat. Ich glaube nicht, dass irgendjemand tatsächlich weiß, wohin wir gehen. Und denjenigen, die uns nicht begleiten, ist das auch egal, solange wir nur die Drachen mitnehmen, wenn wir losziehen.«
Damit erfasste sie die Lage sehr genau, wie Sedric fand, aber es wäre unfreundlich gewesen, ihr das zu sagen. Darum überlegte er, wie er das Gespräch auf etwas lenken konnte, was er vorhin gehört hatte. Als ihm kein zündender Gedanke kam, sprach er es einfach direkt an. »Also. Zusätzlich zu der blauen Drachin willst du dich auch noch um einen Silbernen kümmern?«
»Das habe ich zumindest zugesagt«, gestand sie und klang dabei, als ob sie es inzwischen bereute.
»Tats meinte, dass der Drache verletzt ist? Etwas mit seinem Schwanz?«
»Ich habe ihn mir nicht genau angeschaut, aber er hat eine Wunde, die entzündet zu sein scheint. Die Drachen sind wie die Vögel und Fische gegen das ätzende Flusswasser gefeit. Solange ihre Haut nicht verletzt ist, gibt es keine Probleme. Aber das Wasser greift offene Stellen an. Deshalb müssen wir die Verletzung säubern und verbinden. Und irgendwie dafür sorgen, dass er den Schwanz nicht ins Wasser hängt, wenn wir einmal ein Stück hindurchwaten müssen. Und das halte ich für sehr wahrscheinlich.«
Alise und die blaue Drachin gingen am Fluss entlang. Neben der Drachin wirkte sie winzig. Auch Thymara musste sie erspäht haben, denn das Mädchen beschleunigte ihre Schritte. Sedric aber ging absichtlich langsamer und hielt Thymara zurück. Was er ihr sagen musste, war nicht für Alises Ohren
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