Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
versteinerte, und sie wandte sich von der Drachin ab. Alles, was sie sich ersehnt hatte, würde ihr verwehrt bleiben. Das war bei Hest so und in ihrem Leben in Bingtown – und ihre Reiseträume als Drachenbegleiterin waren ebenfalls ein Reinfall. Schlagartig entschied sie, dass es Zeit war, nach Hause zurückzukehren.
War der Drachin bewusst, dass sie eine Verehrerin verloren hatte? Fast hatte es so den Anschein, denn auf ihrem Weg zu den Aaskarren blieb Himmelspranke plötzlich stehen und blickte zu ihr zurück. Entschlossen sah Alise weg. Nein. Sie würde sich nicht erneut verzaubern lassen. Damit war es vorbei.
»Ach du liebe Güte. Sieht so aus, als wären wir zu spät.«
Sedrics Stimme schreckte sie auf. Noch erstaunlicher war, dass er mit Himmelsprankes Hüterin aufgetaucht war. Wie immer sah das Mädchen sie missbilligend an. Aber vielleicht bildete sich Alise das auch nur ein. Da die Regenwildnis die Züge des Mädchens so stark gezeichnet hatte, war es schwer, ihren Ausdruck zu deuten.
»Himmelspranke war hungrig und wollte lieber etwas fressen als meine Fragen zu beantworten«, erklärte sie überflüssigerweise. Sie wünschte, dass das Mädchen nicht hier wäre. Nach einem Blick auf die Hüterin sprach sie dennoch. Doch ihre Worte waren steif, als würde der Klumpen in ihrem Hals jegliche Satzmelodie unmöglich machen. »Sedric, mir ist klar geworden, dass du recht hattest. Brashen Trell und seine Frau hatten recht. Sogar Hest hatte recht. Ich mache bei meinen Gesprächen mit der Drachin keinerlei Fortschritte. Sie lässt mich einfach nur auflaufen und hat auch noch ihren Spaß daran.« Dann kam der schmerzhafteste und schwierigste Teil. »Ich habe uns beiden so viel zugemutet, um hierherzugelangen. Blödsinnigerweise habe ich einen Vertrag unterschrieben, dass ich flussaufwärts reisen werde. Und jetzt frage ich mich, ob ich bei dieser Unternehmung überhaupt etwas über Drachen erfahren werde. Dieses Biest ist so, so …«
»Zum Verzweifeln«, half Thymara leise und mit einem Lächeln aus.
»Genau!«, entgegnete Alise. Und zu ihrer Überraschung erwiderte sie das Lächeln des Mädchens.
»Tja, wenigstens weiß ich jetzt, dass es nicht nur mir so geht.« Thymara hielt den Kopf schief und fragte Alise zaghaft: »Heißt das, dass Ihr aufgebt und nach Bingtown zurückkehren wollt?«
Alise entgingen die gemischten Gefühle nicht, die Sedric ins Gesicht geschrieben standen. Hoffnung schien eines der stärksten zu sein, doch entdeckte sie auch Sorge. Bevor sie antworten konnte, sagte er: »Wenn du entscheiden würdest, die Reise nicht anzutreten, wäre das vollkommen verständlich, Alise. Ich kann in kürzester Zeit dafür sorgen, dass unsere Sachen gepackt und von Leftrins Schiff geladen werden. Doch bevor wir das machen, muss ich mein Versprechen gegenüber Thymara einlösen, dass ich ihr mit einem anderen Drachen helfen werde. Einem verletzten Drachen.«
»Dem Silbernen«, sagte Thymara leise.
Alise ließ den Blick von Sedric zu Thymara und wieder zurückgleiten und bemühte sich, einen Sinn in seinen Worten zu erkennen. Ihr war nie aufgefallen, dass er eine Zuneigung oder ein Interesse gegenüber Tieren empfunden hatte. Natürlich teilte er ihr wissenschaftliches Interesse an den Drachen zu einem gewissen Grad, doch sie hatte nie beobachtet, dass er einen Hund getätschelt oder mit seinem Pferd gesprochen hatte. Und jetzt wollte er diesem Mädchen helfen, einen Drachen zu verarzten? Irgendetwas ging hier vor, und sie hatte das Gefühl, am Rand einer seltsamen, womöglich sogar dunklen Strömung zu stehen. Hatte er womöglich Interesse an dem Mädchen? Die Hüterin war so jung und sah so eigenartig aus. Es wäre nicht angemessen. Ohne zu denken, plapperte sie los: »Ich komme mit. Vielleicht ist nur Himmelspranke so schwierig. Du hast recht, Sedric. Ich sollte nicht so leicht aufgeben, vor allem, nachdem ich dem Konzil mein Wort gegeben habe. Sollen wir gleich gehen?«
Das schien ihm nicht zu behagen. »Später vielleicht. Ich glaube nicht, dass wir ihn während der Fütterung belästigen sollten.«
»Vielleicht wäre das im Gegenteil eine gute Gelegenheit«, warf das Regenwildmädchen ein. »Wenn er vom Futter abgelenkt ist, können wir uns in Ruhe seine Wunde anschauen.«
»Aber mir wurde gesagt, dass man Tiere niemals beim Fressen stören soll!«, widersprach Sedric.
»Normale Tiere vielleicht«, pflichtete ihm Thymara bei. »Aber das ist ein Drache. Und auch wenn er dumm aussieht, ist da
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