Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
aufgebrochen war. Nachdem er begriffen hatte, dass Hest ernst machen und ihn mit Alise ihn die Regenwildnis schicken würde, hatte er beschlossen, dass er sich auf dieser Reise die Mittel beschaffen würde, seinem derzeitigen, zunehmend bedrückenden Leben zu entkommen. Alle Welt wusste, dass der verzweifelte Fürst von Chalced bereit war, für Zutaten, die ihn von seinem Leiden heilten und ihm ein längeres Leben bescherten, Unsummen zu zahlen. Sedric hatte entschieden, dass er derjenige sein würde, der sie ihm verschaffte.
Und es war ihm gelungen.
Jetzt war er zwischen Triumph und Bestürzung hin und her gerissen. Denn er besaß genau das, was er benötigte, um seinem Schicksal zu entkommen. Sobald er nach Bingtown zurückkehren würde, konnte er Begasti Cored benachrichtigen. Der Mann hatte sich eifrig als Vermittler angeboten, als Sedric ihm von der Idee erzählt hatte. Begasti würde seine Reise zum Fürst von Chalced samt einer Audienz arrangieren. Es war nicht allein der Reichtum an sich, den ihm diese Streifen von Drachenfleisch einbringen würden. Es war die Veränderung seines Lebens, nach der er sich sehnte.
Zum ersten Mal in seinem Leben würde er eigenes Geld besitzen, das er allein durch seine Anstrengungen erworben hatte. Nicht das Geld seines Vaters, nicht das Geld seiner Familie und auch nicht die überhöhten Gehälter, die Hest ihm für seine Dienste zahlte. Sein eigenes Geld, das er ausgeben konnte, wie er wollte. Und kein bisschen anders. Träume, die in den letzten vier Jahren in seinem Herzen gekeimt waren, bettelten lautstark um ihre Freiheit. Mit diesem Geld konnte er Bingtown zusammen mit Hest verlassen. Sie konnten in den Süden, nach Jamaillia gehen, nein, noch weiter weg, in die Länder jenseits von Jamaillia, von denen er nur die exotischen Namen kannte. Dort gab es Orte, wo zwei Männer so miteinander leben konnten, wie sie wollten. Ohne Fragen, ohne Verurteilungen und Skandale. Das Geld, das er für diese Drachenschnipsel bekommen würde, würde sie zu diesen Orten bringen, weit weg von ihren Familien und ihrer Geschichte. Damit konnten sie sich eine Zukunft ohne Geheimnisse erkaufen.
Er wagte kaum, den Gedanken auszukosten, der darauf folgte. Damit konnte er sich eine Zukunft kaufen, in der er und Hest gleichgestellt waren. Viel zu lange war er von Hest finanziell völlig abhängig gewesen. Dieses Ungleichgewicht hatte mehr und mehr in ihre Beziehung hineingespielt. Hest war nicht nur bestimmend, in letzter Zeit war er geradezu herrisch geworden. Hätte Sedric ein eigenes Vermögen, würde Hest ihm vielleicht ein wenig mehr Respekt zollen.
Er hatte, was er brauchte. Jetzt musste er seinen Schatz nur noch sicher nach Bingtown zurückbringen und Begasti benachrichtigen. Je eher desto besser. Die Seereise nach Chalced war lang, doch er wollte dieses Gut niemand anderem anvertrauen. Je eher er die Ware ablieferte, desto besser. Essig und Salz waren ein ausgezeichnetes Mittel, um das meiste Gemüse und Fleisch haltbar zu machen, allerdings waren sie noch nie mit Drachenfleisch erprobt worden. Darüber hinaus war das Zeug, dass das Mädchen abgeschnitten hatte, nicht gerade die beste Qualität. Sedric nahm sich vor, die beiden Stücke von Maden und anderem Schmutz zu säubern, wenn er einmal einen ungestörten Moment für sich hatte. Die Schuppen würde er heraustrennen und vom Fleisch abgesondert aufbewahren. Das Wichtigste aber war, sie so schnell wie möglich nach Bingtown zu schaffen. Eine ausgedehnte Flussreise im Gefolge einer verblödeten Drachenherde passte überhaupt nicht in seine Pläne.
»Alise«, sagte er schroffer, als er wollte. Mit fragend nach oben gezogenen Augenbrauen wandte sie sich von Kapitän Leftrin ab. Obwohl die anderen dabei waren, sprach Sedric, als wären sie unter sich. »Du willst dieses wilde Abenteuer doch gewiss nicht weiterverfolgen. Inzwischen musst du gemerkt haben, dass du nichts davon hast, wenn du den Drachen folgst. Sie haben kaum mit dir gesprochen, und was sie dir gesagt haben, war nicht hilfreich. Alise, nun ist der Zeitpunkt, um zuzugeben, dass du hier nichts mehr erfahren wirst. Wir können Kapitän Leftrins Kahn nicht besteigen und auf diese Reise aufbrechen. Denn wenn wir das tun, dann gibt es über Wochen, vielleicht sogar Monate kein Zurück mehr. Das kann sich keiner von uns leisten. Deshalb ist es Zeit, einzugestehen, dass wir alles für diese Geschöpfe getan haben, was wir tun konnten.« Leiser und sanfter fügte er hinzu: »Du
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