Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
bin mir nicht sicher, ob sie sich erinnern«, sagte Tats leise. »Meine kleine grüne Drachin scheint von vielen Dingen keine Ahnung zu haben.«
»Von welchen Dingen?«, drängte Alise.
Tats trat unter ihrem Blick unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Oh, vielerlei Dinge. Während ich sie geputzt habe, habe ich mich mit ihr unterhalten. Da sie wenig zu sagen hatte, habe ich über alles Mögliche geplaudert. Dabei habe ich sie gefragt, ob sie sich an ihr Leben als Seeschlange erinnert, und sie meinte Nein. Dann habe ich ihr erzählt, dass es Jahre her ist, seit ich das Meer gesehen habe, und da hat sie mich gefragt, was das Meer ist. Das war ziemlich sonderbar. Ihr ist zwar bewusst, dass sie einmal eine Seeschlange gewesen ist, aber anscheinend ist der Fluss das einzige Gewässer, an das sie sich erinnert.« Er hielt inne, als habe er Angst vor einem Eingeständnis. »Ich glaube, sie erinnert sich nur an ihr Leben hier.«
»Das ist … ist wirklich beunruhigend«, pflichtete Alise ihm bei. Mit einem Stirnrunzeln sah sie den Drachen nach.
Thymara trat ungeduldig auf der Stelle. »Wir müssen ihnen folgen.«
Der Mann vom Kahn, Kapitän Leftrin, lief über das Ufer auf sie zu. »Alise!«, rief er. »Sedric! Kommt an Bord. Wir müssen ablegen und so bald wie möglich hinter den Drachen herfahren. Das Schiff ist abfahrbereit.«
»Ich bin gleich da«, versprach Alise, doch Sedric schüttelte müde den Kopf. »Weshalb die Eile? Sie gehen flussaufwärts. Mir scheint, dass es nicht leicht ist, die Spur einer Drachenherde entlang des Flusses zu verlieren.«
»Wenn es keine Nebenflüsse gäbe, hättet Ihr recht«, sagte Thymara. »Aber so ist es leider nicht. Der Regenwildfluss hat etliche Nebenflüsse. Manche sind sehr flach oder führen nur zu bestimmten Jahreszeiten Wasser. Andere dagegen sind ausgewachsene Ströme. Es lässt sich nicht vorhersagen, welchem die Drachen folgen werden.«
Kapitän Leftrin langte gerade bei ihnen an, als sie zu Ende gesprochen hatte. Vom Laufen keuchte der Flussschiffer. Obwohl Thymara ihn nur kurz kennengelernt hatte, mochte sie ihn. Er war ein Mann der Arbeit. Das sah man an seinem wettergegerbten Gesicht, den kräftigen Händen und selbst an seinen abgetragenen Kleidern. Er sah ihr offen ins Gesicht, wenn er mit ihr sprach, und selbst als er den Drachenhütern zum ersten Mal gegenübergestanden hatte, war er bei ihrem Anblick nicht zurückgezuckt. Um zu behaupten, sie würde ihm vertrauen, war es noch zu früh, aber sie bezweifelte, dass er jemanden absichtlich hinters Licht führen würde. Das schätzte sie. Er zog ein leuchtend orangefarbenes Tuch aus seiner Tasche und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Das Mädchen hat recht. Das ist der Haken an dieser Expedition. Von Cassarick aus ›flussaufwärts‹ kann ein Dutzend verschiedener Richtungen bedeuten. Unglücklicherweise wurden bisher nur vier oder fünf dieser Routen kartografiert, und die Karten sind unzuverlässig. Kanäle und Wasserwege, die im einen Jahr für flache Boote schiffbar sind, können im nächsten Jahr versandet sein.«
»Aber ich habe die Karten des Regenwildflusses doch gesehen. Auf dem Markt in Chalced wurden sie zum Verkauf feilgeboten. Allerdings nicht jedem, und sie waren sehr teuer. Aber es gibt sie.«
»Tatsächlich?« Leftrin grinste ihn an. »Wahrscheinlich verkaufen Euch dieselben Händler auch Karten der Schatzinsel von Igrot, dem Piraten. Oder Karten zu den besten Häfen der Gewürzinseln.« Er schüttelte den Kopf. »Schwindel und Fälschungen, muss ich leider sagen. Da eine Nachfrage für solche Dinge besteht, macht man sie in Ermangelung eines Originals eben selbst. Da braucht Ihr Euch aber nicht zu ärgern. Ich habe erlebt, dass gestandene Seeleute auf diese Weise übers Ohr gehauen wurden.«
Der Mann aus Bingtown sah ihn an. »Woher wissen wir dann, wohin wir gehen?«
Leftrins Grinsen wurde breiter. »Indem wir den Drachen folgen – das ist das Beste, was wir machen können.«
Sedrics Hände waren schweißnass. Bisher war alles glattgegangen. In seiner Kiste hatte er zwei Streifen Drachenfleisch mit Haut und Schuppen. Einen hatte er in eine mit Essig gefüllte Flasche getan und fest verkorkt. Das andere Stück hatte er in ein kleines Holzkästchen mit Streusalz gelegt, das er anschließend dicht verschlossen hatte. Eine der beiden Konservierungsmethoden würde bestimmt funktionieren. Beide Behältnisse hatte er bereits vor Wochen vorbereitet, noch bevor er aus Bingtown
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