Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
sie allein sein wollte, um zu weinen. Was war er doch für ein Narr! Er hätte sich denken können, dass der Streit mit Sedric sie aus der Fassung gebracht hatte. Umso erleichterter war er, dass der Kerl sie nicht begleiten würde. Wenn Sedric nicht dabei wäre, würde sie um einiges schneller über ihre Zweifel hinwegkommen. Wie gern wäre er ihr gefolgt und hätte sie in ihrer Entscheidung bestärkt, wenn sie es nur gestattet hätte. Aber das ging nicht, solange diese drei Männer mit ihrer Ausrüstung auf dem Deck herumstanden. Als er sich Carson wieder zuwandte, sah ihn sein alter Freund mit vielsagendem Ausdruck an.
»Ist sie auch Expertin in anderen Dingen außer Drachen?«, stichelte er.
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte Leftrin scharf. Um die Unfreundlichkeit etwas abzumildern, setzte er etwas beschämt hinzu: »Willkommen an Bord, Carson. Vielleicht haben wir heute Abend etwas Zeit, um Geschichten auszutauschen. Jetzt aber würde ich euch alle drei bitten, euch im Deckshaus einzuquartieren und euer Zeug irgendwo zu verstauen, wo es nicht im Weg ist. Swarge! Ist der Rest unserer Ladung schon an Bord? Wenn die Drachen noch immer so schnell unterwegs sind, sollten wir jetzt ablegen.«
»Dieses Tempo werden sie nicht lange durchhalten«, prophezeite Carson. »Am Nachmittag …«
Schlagartig brach der Jäger ab und starrte an Leftrin vorbei. Als der Kapitän sich umdrehte, sah er Sedric umständlich über die Reling klettern. Mit einer Hand hielt der Stutzer dabei die Kiste gegen die Brust gedrückt. »Was haben wir denn da?«, fragte Carson leise, während er den Mund zu einem Lächeln verzog.
»Ach, der.« Leftrin bemühte sich um einen neutralen Tonfall. Seine Worte waren nur für Carson bestimmt, als er hinzufügte: »Der geht überallhin, wo Alise hingeht. Soll auf sie aufpassen.«
»Wie lästig für dich«, murmelte Carson.
»Halt die Klappe«, gab Leftrin ihm unmissverständlich zurück.
Davvie war zur Reling geeilt und wollte Sedric die Kiste abnehmen, um ihm zu helfen. Doch der Mann aus Bingtown funkelte den Jungen böse an und hielt die Kiste fest umklammert, während er umständlich über die Reling stieg. Dann richtete er sich auf, strich seine Kleider zurecht und richtete das Wort direkt an den Kapitän: »Wo ist Alise?«
»Sie ist in ihre Kabine gegangen. Wir legen bald ab. Ihr solltet Eure Sachen packen, wenn Ihr sie mit an Land nehmen wollt«, erklärte ihm Leftrin tonlos.
Sedric hielt inne und starrte ihn finster an. Er knirschte zwar nicht gerade mit den Zähnen, biss sie aber doch kurz aufeinander. »Ich werde nicht an Land gehen«, stieß er gepresst hervor. Und mit einem Blick über die Schulter setzte er hinzu: »Ich würde Alise niemals alleine auf diesem Kahn lassen.«
Alleine mit mir, fügte Leftrin in Gedanken hinzu und unterdrückte ein Grinsen. Dieser schleimige kleine Lümmel will sagen, dass er Alise nicht mit mir alleine lassen will, aber er getraut sich nicht. Laut sagte er: »Sie wäre kaum alleine, wie Ihr wisst. Mit uns hat sie nichts zu befürchten.«
Sedric drehte sich wieder zu ihm um. »Ich bin für sie verantwortlich«, gab er knapp zurück. Dann öffnete er die Tür seiner kleinen Kabine und verschwand darin. Mit beinahe derselben Wucht wie zuvor Alise ließ er die Tür ins Schloss fallen. Leftrin versuchte, seine Enttäuschung hinunterzuschlucken.
»Der bellt nicht laut genug, um ein Wachhund zu sein«, bemerkte Carson, nicht ganz dumm. Als Leftrin die Stirn runzelte, grinste der Jäger nur noch breiter und fügte hinzu: »Ich glaube nicht, dass sein Herz an dem hängt, was er bewachen soll. Mir scheint, ihn beschäftigen andere Dinge.«
»Schafft eure Ausrüstung aus dem Weg. Ich habe jetzt keine Zeit für euch. Ich muss mein Schiff wieder ins Wasser bringen.«
»In der Tat«, pflichtete Carson ihm bei. »Das musst du in der Tat.«
In der Kabine war es eng und dunkel. Alise saß auf dem Boden und starrte an die grob gezimmerte Decke. Eine Kerze anzuzünden, war ihr zu aufwendig, und in ihre Hängematte zu klettern, zu mühsam. Die kleine Kammer, die ihr zuvor so gemütlich und anheimelnd erschienen war, kam ihr nun wie das Baumhaus eines Kindes vor. Und sie war wie ein Mädchen, das sich darin vor der Strafe versteckte, die es früher oder später erleiden würde.
Warum hatte sie sich Sedric widersetzt? Woher kamen nur diese Ausbrüche von Tollkühnheit? Und warum ließ sie sich immer wieder derart hinreißen, wo sie doch nur zu gut wusste, dass sie
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