Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
beunruhigte sie. Als hätte Rapskal etwas zu ihr gesagt, wandte sie den Kopf rasch zur Seite, was Greft vermutlich ein Kichern entlockte.
Tatsächlich aber war es Sylve, die gerade sprach. »Ich bin froh, dass sie Glück hatten und etwas für sich selbst jagen konnten. So haben sie wenigstens etwas im Magen. Sollten wir nicht auch etwas für uns selber jagen oder angeln? Denn ich glaube, dass die bis morgen durchschlafen.«
Sie hatte natürlich recht. Auf dem Kahn gab es zwar Vorräte, aber frisches Fleisch war stets willkommen. Bislang hatten die Jäger zuverlässig jeden Tag Beute gemacht. Täglich gab es Frischfleisch für die Drachen, wenn auch nicht genug, um sie satt zu machen. Die Hüter dagegen waren nicht so erfolgreich gewesen. Den größten Teil der kurzen Stunden, die sie abends am Ufer verbrachten, waren sie mit Striegeln oder Fischen beschäftigt. Heute stand ihnen nicht nur der frühe Abend, sondern auch noch ein Teil des Nachmittags zur Verfügung. Thymara konnte förmlich beobachten, wie den anderen diese Erkenntnis dämmerte. Die meisten entschieden sich dafür, ihr Glück mit der Angel zu probieren. Thymara vermutete, dass die Binsen- und Schilfwiesen an diesem Uferabschnitt vielen Fischen Unterschlupf gewährten, allerdings bezweifelte sie, dass sie groß genug waren, um damit Drachen zu füttern. Und sie war des Wassers und des morastigen Ufers überdrüssig. Zudem brauchte sie etwas Zeit für sich im Wald und auf den Bäumen.
Sie rüstete sich mit einem Bogen, einem Köcher mit Pfeilen, einem Messer und Seilen aus und machte sich ins Dämmerlicht unter den riesenhaften Bäumen auf. Zielstrebig schritt sie voran und blieb auch nicht lange auf dem Waldboden. Eine Weile lief sie parallel zum Fluss und hielt nach Spuren Ausschau. Als sie eine Fährte entdeckte, untersuchte sie sie kurz. Die Pfotenabdrücke eines kleineren Tiers waren von den gespaltenen Hufen eines schwereren zertrampelt worden. Die meisten Spuren waren schwach, und Thymara wusste, dass sie von Tanzrehen stammten, wie die Regenwildleute diese Wesen nannten. Klein und leichtfüßig wie sie waren, bewegten diese Geschöpfe sich flink und lautlos durch den Wald und weideten, wo immer es unter den Bäumen trockene Stellen gab. Doch man hatte auch schon Tanzrehe beobachtet, die auf die untersten Äste kletterten und sich auf ihnen entlangbewegten. Ein einzelnes Tanzreh würde den Magen eines Drachen nicht einmal annähernd füllen, und sie waren so schreckhaft, dass sie – selbst wenn sie auf eine grasende Herde traf – höchstens eines erjagen konnte, da die anderen sofort die Flucht ergreifen würden.
Doch einige der Abdrücke waren größer und tiefer und stammten von gespreizten Hufen. In dieser Jahreszeit wanderten die Sumpfelche einzeln umher. Falls Thymara das ungeheure Glück haben sollte, ein solches Tier zu erlegen, würde sie nur ein Viertel seines Gewichtes zum Lager zurückschleppen können. Doch im Tausch gegen einen Anteil würde Tats ihr vielleicht helfen, den Rest zu transportieren. Heute hatte er das Kanu nicht mit Jerd, sondern mit Warken geteilt. Vielleicht bedeutete das, dass er heute Abend Zeit hatte, um auch noch etwas anderes zu tun, als sich Jerds Gequassel anzuhören. Thymara schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn zu vertreiben. Er hatte sich seine Gesellschaft selbst ausgesucht. Was ging sie das an?
Sie verfolgte weiterhin die Spur des Sumpfelchs, auch wenn ihr klar war, dass selbst ein Tanzreh ein großer Glücksfall gewesen wäre. Eher würde sie noch auf einen der klauenbewehrten Allesfresser treffen, die das Ufer bewohnten. Auch wenn deren Fleisch essbar war, mochte Thymara es nicht. Himmelspranke allerdings würde darüber wohl kaum die Nase rümpfen.
Sobald sich eine Gelegenheit fand, stieg Thymara auf die unteren Äste. Hier halfen ihr die Klauen an ihren Füßen, sich geschickt und lautlos voranzubewegen. Sie hielt sich nicht direkt oberhalb der Fährte, sondern in einigem Abstand, wo sie Ausschau halten konnte, ohne, wie sie hoffte, die Tiere auf sich aufmerksam zu machen.
Je weiter sie sich vom Fluss entfernte, desto dämmriger wurde es. Auch die Geräusche des Waldes veränderten sich. Die vielen, miteinander verwobenen Lagen von Zweigen und Blättern dämpften das Rauschen des Flusses zunehmend ab. Vögel zwitscherten, und von weiter oben hörte Thymara das Rascheln vorbeieilender Eichhörnchen, Affen und anderer kleiner Tiere. Eine Art innerer Friede überkam sie. Ihr Vater hatte
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