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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Sie sah ihm tief in die Augen und erkannte darin die Wut, die sich in die Furcht mischte. Furcht vor einer Erniedrigung, Furcht, dass er seine verschmähte Tochter wieder würde nach Hause nehmen müssen. Sie sah weg, und plötzlich war der Tag nicht mehr so strahlend. Nicht einmal ihr eigener Vater vermochte zu glauben, dass Hest sie aufrichtig liebte und sie heiraten wollte.
    Sie holte so tief Luft, wie es ihr Kleid erlaubte. Entschlossen richtete sie sich auf. Sie würde nicht als Vaters Enttäuschung ins Haus ihrer Eltern zurückkehren. Nie mehr. Ganz gleich, was passierte.
    Dann schwangen die Türen der Halle auf, und Hests Leute strömten herein, gekleidet in die jeweilige Tracht ihrer Familien. Sie stolperten die Treppe herunter, ein rüpelhaft lachender Pulk aus Hests Freunden und Geschäftspartnern. Hest selbst trugen sie in ihrer Mitte. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz sogleich höher. Sein dunkles Haar war knabenhaft verstrubelt, und seine Wangen waren gerötet. Er grinste gutmütig, während seine Freunde ihn herbeitrugen. In dem maßgeschneiderten Jackett aus grüner Seide aus Jamaillia kamen seine breiten Schultern besonders gut zur Geltung. Um den Hals trug er eine weiße Binde, die mit einer smaragdfarbenen Anstecknadel befestigt war, deren Grün es aber nicht mit der Farbe seiner Augen aufnehmen konnte.
    Als sein Blick auf sie fiel, erstarrten seine Züge auf einmal, und sein Lächeln verschwand. Sie sah ihn herausfordernd an – falls er es sich noch einmal anders überlegen wollte, dann war nun der Augenblick gekommen. Doch er betrachtete sie ernst und nickte langsam, als würde er einen inneren Beschluss bekräftigen. Dutzende Gratulanten waren auf ihn zugeströmt, um ihn zu begrüßen. Wie ein Schiff, das durch die Wellen schneidet, ging er durch die Menschentraube hindurch. Ohne grob zu werden, machte er doch deutlich, dass er nicht aufgehalten oder abgelenkt werden wollte. Als er vor Alise und ihrem Vater angelangt war, verneigte er sich vor beiden förmlich. Erschrocken brachte auch Alise einen Knicks zustande. Dann richtete sie sich wieder auf, und Hest hielt ihr die Hand entgegen. Aber er schaute dabei ihren Vater an und sagte: »Ich glaube, diese gehört jetzt mir, nicht wahr?«
    Sie legte ihre Hand in seine.
    »Und ich glaube, dass erst noch ein Vertrag unterschrieben werden muss«, sagte ihr Vater in heiterem Tonfall. Mit einer einzigen Geste hatte Hest seine Befürchtungen in Freude verwandelt. Ihr Vater strahlte vor Stolz darüber, dass ein derart gut aussehender und reicher Mann so entschlossen nach seiner Tochter gegriffen hatte.
    »Das muss er in der Tat!«, rief Hest aus. »Und ich schlage vor, dass wir uns ohne Verzug ans Werk machen. Für in die Länge gezogene Formalitäten habe ich keine Geduld. Die Dame hat mich schon lange genug warten lassen!«
    Alise überlief ein wohliger Schauer, während seine Worte bei den Gästen zustimmende Heiterkeit und leises Gelächter auslösten. Der allzeit charmante und liebreizende Hest hetzte Alise geradezu durch die Halle zu den wartenden Verträgen.
    Wie es der Brauch gebot, setzten sie sich einander gegenüber an dem langen Tisch. Sedric Meldar trat vor und hielt seinem Freund das Tintenfass. Alises ältere Schwester Rose hatte um die Ehre gebeten, ihr zur Seite zu stehen. Gemeinsam würden die Brautleute den langen Tisch abschreiten und jeder würde einen Punkt aus dem Vertrag verlesen. Wenn alle einverstanden waren, würden sie unterschreiben. Erst am Ende des Tisches würden die beiden zusammenkommen und von ihren Eltern gesegnet werden. Die Vertragsrollen würden sorgfältig mit Sand getrocknet und aufgerollt werden. Danach wurden sie im Archiv der Halle verstaut. Nur selten kam es vor, dass eine Mitgift oder das Erbe eines Kindes angefochten wurde. Dann ließ sich mithilfe des geschriebenen Wortlauts oft Streit aus dem Weg räumen.
    In dem Schriftwerk steckten keinerlei romantische Gefühle. Alise verlas mit lauter Stimme, dass sie, im Falle von Hests Ableben bevor er einen Erben gezeugt hatte, alle Forderungen auf das Vermögen an seinen Vetter abtreten würde. Darauf verlas Hest eine Vereinbarung, dass seine Witwe eine eigene Wohnung auf dem Familiengrundstück erhalten sollte. Im Falle von Alises Tod würde der kleine Weinberg, der Alises einzige Mitgift war, an ihre jüngere Schwester fallen, wenn bis dahin kein Erbe geboren wäre.
    Darüber hinaus gab es die in Bingtowns Eheverträgen üblichen Standardvereinbarungen. Sobald sie

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