Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
verheiratet waren, würden beide Ehepartner gleiches Mitspracherecht haben, wenn es um finanzielle Entscheidungen des Haushalts ging. Die Höhe der jedem frei zur Verfügung stehenden Geldsummen wurde festgelegt. Darüber hinaus wurde geregelt, wie sich diese Summen änderten, je nachdem, wie gut die Geschäfte liefen. Beide versprachen, dem anderen treu zu sein, und beteuerten, noch kein Kind in die Welt gesetzt zu haben. Alise hatte um die alte Regelung gebeten, nach der das erstgeborene Kind zum alleinigen Erben bestimmt wurde, gleich, welchen Geschlechts es war. Sie war entzückt gewesen, dass Hest sich nicht dagegen gesträubt hatte. Und als sie die Klausel verlas, in der ihr zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt eine Reise in die Regenwildnis zugesichert wurde, um ihre Studien der Drachen zu vertiefen, hatte er seinen Namen mit einem besonderen Schnörkel versehen. Sie musste Tränen der Freude wegblinzeln, damit sie ihr nicht über die Wangen flossen und ihre Puderschicht ruinierten. Womit hatte sie einen solchen Mann verdient? Sie schwor, sich seiner Großzügigkeit würdig zu erweisen.
Die Bestimmungen des Vertrags waren überaus detailliert und trugen dem Umstand Rechnung, dass keine Ehe vollkommen war. In schier endloser Folge reihten sich die Klauseln aneinander, jede Kleinigkeit wurde darin geregelt. Nichts war zu intim, um keine Erwähnung zu finden. Wenn Hest ein außereheliches Kind zeugte, käme dieses Kind nicht als Erbe infrage, und Alise würde ihre Ehevereinbarung auf der Stelle auflösen können und fünfzehn Prozent des derzeitigen Familienbesitzes erhalten. Sollte Alise eine derartige Treulosigkeit begehen, konnte Hest sie nicht nur seines Hauses verweisen, sondern brauchte keines der Kinder, die nach dem Fehltritt geboren wurden, anzuerkennen. Die Versorgung dieser Kinder wäre dann auch einzig die Sache von Alises Vater.
So ging es weiter und weiter. Es gab Bestimmungen, wie sie ihre Ehe im gegenseitigen Einvernehmen auflösen konnten und welche Übertretungen die Ehe automatisch für null und nichtig erklärten. Jeder einzelne Punkt musste laut gelesen und von beiden unterschrieben werden. Nicht selten dauerte diese Prozedur Stunden, doch Hest ließ es offensichtlich nicht darauf ankommen. Mit jedem Paragraf, den er verlas, erhöhte er das Tempo. Anscheinend konnte er es kaum erwarten, diesen Teil der Zeremonie hinter sich zu bringen. Alise blieb kaum etwas anderes übrig, als es ihm gleichzutun und schneller zu lesen. Anfangs schienen einige Gäste darüber brüskiert zu sein. Doch als sie Alises gerötete Wangen und das durchtriebene Grinsen sahen, das regelmäßig über Hests Gesicht huschte, fingen sie selbst bald an zu lächeln.
In bemerkenswert kurzer Zeit hatten die Brautleute das Ende des Tischs erreicht. Atemlos ratterte Alise die letzte Bestimmung ihrer Familie herunter. Doch die allerletzte Klausel verkündete sie mit lauter Stimme. »Mein Leib und mein Herz, mein Leben und meine Treue sollen allein dir gehören.« Nach all dem, was sie sich inzwischen gegenseitig zugesichert hatten, kam es ihr wie eine unnötige Wiederholung vor, als er dasselbe auch ihr versprach. Sie unterschrieben. Dann wurden die Federn den beiden Vertrauten gereicht. Nun, da sie endlich von den lästigen Formalitäten befreit waren, nahmen sie sich an der Hand und kamen an der Stirnseite des Tisches zusammen. Vereint wandten sie sich ihren wartenden Eltern zu. Hests Hände waren so warm, wie die von Alise kalt waren. Sacht hielt er ihre Finger umschlossen, als fürchte er, ihr wehzutun, wenn er fester zufasste. Sie drückte zu, damit er spürte, dass sie nicht mehr zauderte. Sie war sein und gab sich ganz in seine Hände.
Erst taten sich die Mütter, dann die Väter zusammen, um das Paar zu segnen. Hests Eltern sprachen einen längeren Segen als die von Alise, und sie baten Sa um Wohlstand, viele gesunde und gehorsame Kinder, ein glückliches Heim, langes Leben und Gesundheit für die Vermählten – die Liste wollte fast nicht enden, und Alises Lächeln begann bereits zu erstarren.
Als die Segnungen endlich vorbei waren, wandten Alise und Hest sich einander zu. Der Kuss. Es würde ihr erster Kuss sein, und plötzlich war sie froh, dass sie ihn sich für diesen Augenblick aufgespart hatte. Sie holte so tief Luft, wie es das enge Kleid gestattete, und wandte das Gesicht nach oben. Er sah zu ihr herab, und der Blick seiner grünen Augen war unergründlich. Als er sich zu ihr herabbeugte, schloss sie
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