Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Moment sehr beschäftigt wäre, und hatte sie zur Tür geführt. Er hatte sie ausgeschlossen, und sie war weinend auf ihr Zimmer gerannt.
Ein paar Tage später war er zu ihr ins Schlafgemach gekommen, und sie hatte sich erneut erniedrigt. Als er sich auf sie gelegt hatte, hatte sie ihn umarmt und den Nacken gereckt, um ihn zu küssen. Er war ihr ausgewichen. Trotzdem wollte ihr nach Liebe dürstender Leib jede seiner Berührungen auskosten. Doch er ignorierte ihr Verlangen vollständig. Als er fertig war, rollte er sich trotz ihres Versuches, ihn festzuhalten, von ihr herunter. »Alise. Bitte. Unterlasse es in Zukunft, uns in diese Verlegenheit zu bringen«, hatte er leise gesagt, bevor er die Tür hinter sich zugemacht hatte.
Selbst jetzt noch stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht, wenn sie an ihre Versuche zurückdachte, ihn für sich zu gewinnen. Gleichgültigkeit war schlimm genug, doch nachdem er letzte Nacht bewiesen hatte, dass er nicht nur die Kraft, sondern auch den Willen hatte, sie zu zwingen, musste sie der hässlichen Wahrheit ins Auge blicken. Hest veränderte sich. Im Verlauf des letzten Jahres war er ihr gegenüber zunehmend schroff geworden. Nicht nur unter vier Augen, auch in der Öffentlichkeit bedachte er sie inzwischen mit gemeinen Bemerkungen. Die kleinen Aufmerksamkeiten, die eine Frau von ihrem Gatten erwarten durfte, wurden allmählich immer spärlicher. Anfangs hatte er sich in der Öffentlichkeit noch um Artigkeiten bemüht, hatte ihr den Arm gereicht, wenn sie zusammen gingen, und ihr in die Kutsche geholfen. Das tat er jetzt nicht mehr. Und in der vergangenen Nacht war die Nachlässigkeit erstmals in Gewalt umgeschlagen.
Nicht einmal die kostbaren Schriftrollen von den Gewürzinseln wogen das auf, was er ihr angetan hatte. Es war an der Zeit, diese Scharade zu beenden. Sie hatte den Beweis für seine Untreue, und es war Zeit, den Ehevertrag für nichtig zu erklären.
Die Hinweise waren mager, aber offensichtlich. Den ersten hatte sie erhalten, als eine an ihn gerichtete Rechnung irrtümlicherweise auf ihrem Schreibtisch gelandet war. Eine Rechnung für ein teures Körperöl, das Alise ganz sicher nicht gekauft hatte. Als sie bei dem Händler nachgehakt hatte, hatte ihr dieser eine von Hest quittierte Lieferbescheinigung gezeigt. Daraufhin hatte sie die Rechnung beglichen, die Quittung aber für sich behalten. Auf ähnliche Weise hatte sie entdeckt, dass Hest ein kleines Landhaus angemietet hatte, einige Stunden zu Pferd von der Stadt entfernt, in einer Gegend voller Bauernhöfe, die vor allem von Drei-Schiffe-Einwanderern besiedelt war. Und in der vergangenen Nacht hatte sie den letzten Hinweis gefunden: Er trug einen Ring, den sie nie zuvor gesehen hatte. Der Ring hatte in ihren Arm geschnitten, als er sie gepackt und festgehalten hatte. Hest fand Gefallen an allerlei Geschmeide, und er trug oft Ringe. Normalerweise bevorzugte er massives Silber. Dieser jedoch war aus Gold, mit einem winzigen Stein. Sie wusste, dass Hest ihn sich nicht selbst gekauft hatte.
Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Hest hatte sie nur geheiratet, um seine Familie zufriedenzustellen und der Welt eine anständige Händlerfrau zu präsentieren. Die Finboks würden niemals eine Drei-Schiffe-Frau in ihrer Familie dulden, ganz zu schweigen davon, das Kind einer solchen Frau als Erbe anerkennen. Bestimmt war das Öl ein Geschenk für seine Mätresse gewesen, und der Ring war ein Liebespfand aus ihrer Hand. Hest war ihr untreu. Er hatte ihren Ehevertrag verletzt, und seine gebrochenen Eide würde sie nutzen, um sich von ihm zu befreien.
Dann wäre sie arm. Natürlich würde sie von seiner Familie eine Entschädigung erhalten, aber Alise bildete sich nicht ein, dass sie davon ebenso gut leben konnte wie unter Hests Dach. Sie würde sich auf das Landgut zurückziehen müssen, das ihre Mitgift gewesen war. Dort würde sie sich bescheiden müssen. Selbstverständlich hätte sie weiterhin ihre Arbeit, und …
In diesem Moment ging die Tür auf. Sedric trat ein. Er lachte über irgendetwas und redete über die Schulter mit Hest. Jetzt erst wandte er sich nach vorn, entdeckte Alise und lächelte: »Alise, guten Morgen!«
»Guten Morgen, Sedric.« Die Nettigkeit kam reflexartig aus ihrem Mund.
Und als Hest sie missmutig anblickte, weil er offensichtlich verärgert war, sie am Frühstückstisch vorzufinden, platzte es aus ihr heraus: »Du warst mir untreu. Damit ist unser Ehevertrag ungültig. Du kannst mich im
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