Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
ehrerbietige Wesen, die Drachen freudig willkommen hießen, sich um deren Bedürfnisse kümmerten und sogar ihre Städte entsprechend bauten. Elderlinge erkannten die Klugheit der Drachen an. Wie konnten so hoch entwickelte Kreaturen wie die Elderlinge nur mit den Menschen verwandt sein?
Diese verweichlichten kleinen Wasserbeutel, die sich um die Drachen kümmern sollten, erledigten selbst die einfachsten Aufgaben nur noch unter Murren und Meckern. Ihre wenigen Pflichten führten sie so liederlich aus, dass Sintara und ihre Gefährten elend vor sich hinvegetierten. Ihren Dienst taten sie mit nur kaum verhohlenem Widerwillen. Alles, was diese haarlosen Baumaffen im Kopf hatten, war die Plünderung Cassaricks. Die Überreste der alten Elderlingsstadt befanden sich beinahe direkt unter der Stelle, wo die Drachen geschlüpft waren. Die Menschen würden die Ruinen ebenso plündern, wie sie die untergegangene Stadt bei Trehaug geplündert hatten. Dort hatten sie nicht nur allen Schmuck geraubt und Artefakte davongeschleppt, die sie nie begreifen würden, sondern hatten bis auf eine Ausnahme auch sämtliche Drachen erschlagen, die die Elderlinge kurz vor der Katastrophe in die fragwürdige Sicherheit der Stadt gebracht hatten. Bei diesem Gedanken erfüllte Sintara von Neuem kochende Wut.
Noch immer fuhren »Lebensschiffe« aus »Hexenholz« auf dem Wasser, und die Drachengeister, von denen die Schiffe belebt waren, standen noch immer in den Diensten der Menschen. Auch heute noch gaben die Menschen vor, von der Gräueltat nichts gewusst zu haben. Wenn Sintara an die Drachen dachte, die so viele Jahre auf das Schlüpfen gewartet hatten, nur um halbfertig auf den kalten Steinboden geworfen zu werden, wallte Zorn in ihr auf. Sie spürte, wie sich die Giftsäcke in ihrer Kehle füllten und hart wurden, und es gärte in ihr. Die Menschen verdienten den Tod für das, was sie getan hatten, jeder Einzelne von ihnen.
Neben ihr meldete sich Mercor zu Wort. Trotz seiner Größe und offensichtlichen Stärke sprach er nur selten und ging Streit meist aus dem Weg. Als wäre er von einer furchtbaren Trauer entkräftet, die ihm jeglichen Antrieb und Ehrgeiz raubte. Wenn er die Stimme erhob, hielten die anderen inne, um ihm zu lauschen. Ob es ihnen auch so ging, vermochte Sintara nicht zu sagen, doch sie selbst fühlte sich von ihm angezogen und war zur selben Zeit seltsam schuldbewusst angesichts seiner immensen Trauer. Beim Klang seiner Stimme regte sich etwas in ihr, als müsste sie sich an wundervolle Dinge erinnern, die sie vergessen hatte. Heute sagte er mit tiefer und volltönender Stimme: »Sintara, lass es gut sein. Dein Zorn ist wertlos, wenn er nicht auf ein geeignetes Ziel gerichtet ist.«
Eine weitere Sache, die sie beunruhigend an ihm fand: Er sprach, als könne er ihre Gedanken lesen. »Du hast keine Ahnung von meinem Zorn«, zischte sie.
»Nicht?« Unglücklich wälzte er sich in der Suhle herum, in der sie schliefen. »Ich rieche deine Wut, und ich weiß, dass sich deine Drüsen mit Gift füllen.«
»Ich will schlafen !«, donnerte Kalo. Obwohl er extrem gereizt klang, wagte nicht einmal er, Mercor unverblümt herauszufordern.
Am Rand des Knäuels aus ineinanderverschlungenen Drachen stieß einer der kleinen Zurückgebliebenen im Schlaf ein Quieken aus. Wahrscheinlich war es der Grüne, der sich kaum vom Fleck schleppen konnte. »Kelsingra! Kelsingra! Dort, in der Ferne!«
Kalo reckte den Kopf in die Höhe und brüllte in die Richtung des Grünen: »Sei still! Ich will schlafen!«
»Du schläfst doch schon«, entgegnete ihm Mercor, unbeeindruckt von Kalos Wut. »Du schläfst so tief, dass du nicht einmal mehr träumst.« Er hob den Kopf. Auch wenn er nicht größer als Kalo war, stellte er doch eine Herausforderung dar. »Kelsingra!«, trompetete er plötzlich in die Nacht.
Da regten sich alle Drachen. »Kelsingra!«, bellte Mercor erneut, und an Sintaras scharfe Ohren drangen von weither die dünnen Rufe der Menschen, die aus ihrem abendlichen Schlummer aufgescheucht worden waren. »Kelsingra!«
Mercor schleuderte den Namen der alten Stadt zum fernen Sternenhimmel empor. »Kelsingra, ich erinnere mich an dich! Wir alle erinnern uns an dich, selbst jene, die sich wünschten, es nicht zu tun. Kelsingra, Heimat der Elderlinge, Heimat des Quells des silbernen Wassers und der großen steinernen Plätze, die in der Sommerhitze brüteten. In den Hügeln jenseits der Stadt wimmelte es von Wild. Verhöhne den Armen nicht,
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