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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Lächeln ins Gesicht zauberte, so schnell verblasste es auch wieder. Regenwildleute reisten nur selten nach Bingtown. Selbst diejenigen, die von der Regenwildnis nicht stark gezeichnet waren, wussten, dass ihre Anwesenheit dort die Blicke auf sich ziehen würde. Sollte Thymara jemals nach Bingtown gehen, müsste sie sich immerzu in lange Mäntel und Schleier hüllen. Selbst dann würden die Leute starren und sich fragen, was sie unter ihrer Hülle zu verbergen hatte. Nein. Das war nicht das Leben, das sie sich erträumte. So lebhaft ihre Fantasie auch war, konnte sich Thymara beim besten Willen nicht vorstellen, ein schönes oder auch nur ein gewöhnliches Gesicht und einen ebensolchen Körper zu haben. Sie hatte geseufzt.
    Und dann hatte sie sich schlicht zu weit vornübergebeugt. Sie erinnerte sich, dass sie zu Anfang auf eigentümliche Weise entzückt gewesen war. Sie hatte die Glieder ausgestreckt, um den Wind zu spüren, und wäre beinahe, beinahe geflogen. Aber dann schlug ihr der erste Zweig schmerzhaft ins Gesicht, und ein kräftigerer Ast traf sie am Rumpf. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen, und sie hatte sich um den Ast gewickelt. Allerdings griff sie nicht rechtzeitig zu und stürzte mit dem Rücken voraus weiter in die Tiefe und stieß gegen den nächsten Zweig. Er traf sie im Kreuz, und wenn sie Luft in den Lungen gehabt hätte, hätte sie geschrien. Der Zweig gab nach, krachte und schleuderte sie in die Luft.
    Ihr Instinkt rettete ihr das Leben. Sie rauschte durch ein Gewimmel dünnerer Zweige. Mit Händen und Füßen fasste sie im Fallen danach. Die Äste bogen sich nach unten, sodass sie Zeit gewann, fester zuzupacken. Kopfüber, aber am Leben, hing sie an den Zweigen, keuchte und japste, und am Ende schluchzte sie hoffnungslos. Sie wagte nicht, umzugreifen, um einen besseren Halt zu gewinnen, und sie getraute sich auch nicht, die Augen zu öffnen und nach jemandem Ausschau zu halten, der ihr helfen konnte. Oder ihren Mund zu öffnen, um zu schreien.
    Eine Ewigkeit später fand sie ihr Vater. Er hatte sich zu ihr abgeseilt, und als er bei ihr angelangt war, band er sie an sich fest. Da Thymara nicht loslassen wollte, hackte er die dünnen Zweige ab, die sie umklammerte. Obwohl es keinen Zweck mehr erfüllte, hielt sie die Handvoll Äste fest und ließ sie erst fallen, als sie des Nachts einschlief.
    Im Morgengrauen hatte ihr Vater sie geweckt und zum täglichen Sammeln mitgenommen. An jenem Tag und auch an allen folgenden Tagen war sie stets mit ihm zusammen gewesen. Als sie jetzt darüber nachdachte, stieg eine schauerliche Frage in ihr auf. Hatte er das getan, weil er geglaubt hatte, dass sie sich das Leben hatte nehmen wollen? Oder weil er geglaubt hatte, dass ihre Mutter ihr einen Stoß gegeben hatte?
    Hatte ihre Mutter ihr einen Stoß gegeben?
    Sie versuchte, sich an den Augenblick vor dem Sturz zu erinnern. Hatte ihr eine Berührung von hinten den nötigen Schwung verliehen? Oder hatte sie die Verzweiflung nach unten gezerrt? Sie wusste es nicht. Mit einem Blinzeln entschied sie, nicht weiter nach der Wahrheit zu suchen. Die Wahrheit spielte keine Rolle. Es war geschehen, vor Jahren. Sie sollte es ruhen lassen.
    Sie spürte, wie sich der Ast, auf dem sie saß, nach unten bog, und roch die Pfeife ihres Vaters, der sich zu ihr gesellte. Ohne ihn anzusehen, sagte sie: »Hat sie noch etwas zu dem Angebot für mich gesagt?«
    »Nein. Aber ich war auf den Unterästen, und Gedder und Sindy haben gefragt, wie du dich entschieden hättest. Ich habe befürchtet, dass deine Mutter Sindy gegenüber prahlen würde, noch ehe sie mit uns spricht. Es ist ein schlechtes Angebot, Thymara. Das ist nichts für dich, und ich bin wütend, dass deine Mutter dich überhaupt dafür in Erwägung gezogen hat. Es ist nicht nur eine schmutzige, harte Arbeit. Es ist geradezu lebensgefährlich.« Ihr Vater blickte düster drein, und je zorniger er wurde, desto schneller sprudelten die Worte aus ihm hervor. »Du hast die Gerüchte bestimmt gehört. Das Regenwildkonzil möchte schon seit Langem keine weiteren Gelder in die Drachenfütterung stecken. Seit einiger Zeit hält sich Tintaglia nicht mehr an ihren Teil der Abmachung, und dennoch müssen wir Steuern zahlen, um Jäger anzuheuern oder, schlimmer noch, Schafe und Rinder zu kaufen, um die Drachen satt zu bekommen. Ein Ende ist nicht in Sicht, denn jeder weiß, wie lange diese Geschöpfe leben, und es ist offensichtlich, dass sie sich niemals werden selbst

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