Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
und Kinderkriegen gelegt habe. Das gehörte halt einfach zu den Regeln, die es für uns gab.«
»Nicht für Greft«, sagte er und schüttelte den Kopf. Er hatte die Frucht aufgegessen. Jetzt steckte er sich den Stein in den Mund, kaute kurz darauf herum und spuckte ihn aus.
»Greft und seine neuen Regeln«, grummelte sie vor sich hin.
»Wolltest du nie ohne die Verbote leben, die sie dir auferlegt haben? Wolltest du nie einfach tun, wonach dir der Sinn steht?«
»Für ihn herrschen andere Gesetze als für mich«, sagte sie langsam.
»Wie das?«
»Nun, er ist ein Mann. Aber Frauen wie ich … Oft bringen wir Kinder zur Welt, die nicht überleben können oder es besser nicht sollten, aber beinahe genauso oft sterben wir selbst bei der Geburt. Mein Vater hat mir gesagt, dass das Verbot, zu heiraten und Kinder zu gebären, vor allem dafür gedacht ist, uns zu schützen.« Sie zuckte mit einer Schulter. »Wenn Greft die Gesetze ändert, geht er selbst kein Risiko ein, nicht wahr? Er ist nachher nicht derjenige, der hier draußen die Wehen bekommt, weitab von jeder Hebamme. Er muss nachher nicht mit einem Kind zurechtkommen, das nicht lebensfähig ist. Ich glaube nicht, dass er sich jemals überlegt hat, was er mit dem Kind anstellt, falls Jerd sterben sollte und der Säugling überlebt.«
»Wie kannst du so etwas nur denken?«, fragte Tats bestürzt.
»Wie kannst du nicht daran denken?«, gab sie scharf zurück. Sie ließ die Ranke los und hängte sich die Tasche über die Schulter. Dann starrte sie durch die Blätter ans ferne jenseitige Ufer. Nach einer Weile sagte sie leise: »Für Greft ist es leicht, von neuen Regeln zu faseln. Es macht mich wütend, wenn er sagt, ich solle bald meine Entscheidung treffen. Als ob es für mich keine andere Entscheidung gäbe als die, wen ich möchte. Für ihn liegen die Dinge vielleicht so einfach. Niemand hier verbietet ihm etwas, und also tut er einfach, was er will. Aber er denkt nie darüber nach, weshalb solche Verbote überhaupt ausgesprochen wurden. Für ihn sind sie nur Schranken, die ihn von dem abhalten, was er machen möchte.«
Sie wandte den Kopf um und sah Tats an. »Begreifst du, dass das für mich nur wieder ein Gesetz ist, das er für mich aufstellt? Sein Gesetz ist, dass ich mir einen Mann aussuchen soll. ›Um das Wohl der Hüter willen‹, damit die Jungs sich nicht um mich schlagen. Warum ist das besser als das alte Gesetz?«
Da er nicht antwortete, wandte sie den Blick wieder auf den Fluss. »Weißt du was? Mir ist gerade etwas aufgefallen. Jerd und Greft glauben, dass sie sich selbst beweisen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Für mich bedeutet das aber nichts weiter, als dass man sich nicht an eine alte Regel hält. Ich glaube nicht, dass Jerd mutiger, stärker oder tüchtiger ist, weil sie es getan hat. Vielmehr ist sie mit dem Kind in ihrem Bauch verletzlicher. Und mehr von den anderen abhängig, ganz gleich, wie schwer es wird. Also. Was beweist Jerd damit? Oder was beweisen die Jungs damit, dass sie mit ihr geschlafen haben?«
Während sie ihre Gedanken entwickelt hatte, hatte sie vergessen, mit wem sie sprach. Tats’ fassungsloser Blick brachte sie zum Schweigen. Sie wollte sich entschuldigen und sagen, dass sie es nicht so gemeint hatte. Aber ihre Zunge war zu der Lüge nicht fähig. Nachdem er einige Momente geschwiegen hatte, sagte sie schließlich: »Meine Tasche ist voll. Lass uns das Zeug zurück zum Kahn bringen.«
Ohne sie anzublicken, nickte er einmal schroff. Hatte sie ihn beschämt? Ihn erzürnt? Plötzlich machte sie all dies müde, und sie wollte ihn gar nicht mehr verstehen, noch wollte sie, dass er sie verstand. Das war ihr alles viel zu mühsam. Allein zu sein war so viel einfacher. Und so stand sie auf und ging den Weg zurück.
Nur drei Bäume von der Stelle entfernt, an der sie aus dem Boot gestiegen waren, bemerkte sie Nortel, der zu ihnen hochkletterte. Sie blieb stehen und trat auf dem Ast einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen. Er bewegte sich schnell, hielt aber ebenfalls inne, als er den Ast erreichte. Er war ganz aus der Puste und keuchte, sein Blick glitt zwischen ihr und Tats hin und her. »Wo warst du?«, wollte er wissen. Thymara stieg bei der unerwarteten Frage die Zornesröte ins Gesicht.
»Früchte sammeln«, gab Tats zurück, bevor sie etwas sagen konnte.
»Das ist aber nicht recht, was du da tust«, warf Nortel dem Tätowierten vor. »Du hast doch gehört, was Greft gesagt hat. Und wir haben
Weitere Kostenlose Bücher