Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
fürs Erste nimmt, was er kriegen kann, und für später auf etwas Besseres hofft.« Der vielsagende Blick, den er ihr bei seinen letzten Worte zuwarf, verwirrte sie und machte sie unruhig. Wie Fliegen schwirrten ihre Gedanken um seine Worte herum. Was meinte er damit? Sie versuchte, die Unterhaltung etwas aufzuheitern. »Jerd würde mit jedem gehen? Sogar mit dir?« Sie setzte zu einem neckenden Lachen an, erstarrte aber, da Tats die Schultern hochzog und sich leicht von ihr abwandte.
»Mit mir? Vielleicht«, sagte er pampig. »Ist das so unvorstellbar?«
Plötzlich fiel ihr der Abend ein, als Greft ihn vom Lagerfeuer vertrieben hatte und Jerd ihm kurz darauf gefolgt war. Am nächsten Tag hatten die beiden zusammen in einem Boot gesessen, und auch die folgenden Tage … Die Erinnerung brachte sie zum Schweigen. Tats hatte seine Decke neben Jerd ausgelegt, hatte sich zum Abendessen neben sie gesetzt. Wieso hatte sie nicht erkannt, was das bedeutete? Eifersucht kochte in ihr hoch, doch bevor diese ihr Herz versengen konnte, erfasste sie eisige Kälte und kühlte ihren Neid. Was war sie nur für eine Närrin! Natürlich war es so, wahrscheinlich schon seit dem Abend, als sie Trehaug verlassen hatten. Jerd, Greft, Tats, sie alle hatten die Regeln über Bord geworfen. Nur die dumme, prüde Thymara hatte weiterhin angenommen, dass die Regeln noch ihre Gültigkeit besaßen.
»Mit mir auch!«, verkündete Rapskal, der aus dem Schatten auftauchte und sich unwillkommen ins Gespräch drängte.
»Mit dir was?«, fragte ihn Tats widerwillig.
Rapskal sah ihn an, als wäre Tats begriffsstutzig. »Jerd hat es mit mir getan. Ich war vor dir dran. Aber ihr hat es nicht besonders gefallen, wie ich es gemacht habe. Sie meinte, das wäre nicht lustig, und als ich darüber gelacht habe, weil es so schmutzig war, sagte sie, das würde beweisen, dass ich ein Junge und noch kein richtiger Mann wäre. ›Mit dir mache ich das nie wieder!‹, hat sie danach geschimpft, und ich meinte nur: ›Von mir aus.‹ Und es ist mir auch egal. Warum sollte man das mit jemandem machen, die es so ernst nimmt? Ich glaube, mit jemandem wie Thymara würde das viel mehr Spaß machen. Du verstehst Spaß. Ich meine, schau uns doch an. Wir kommen gut miteinander aus. Dich stört es nicht, wenn einer Sinn für Humor hat.«
»Halt den Mund, Rapskal!«, fauchte sie ihn an, womit sie ihm bewies, dass er unrecht hatte. Unter den entgeisterten Blicken der beiden Jungen rannte sie in die Dunkelheit davon. Hinter sich hörte sie, wie Tats Rapskal rügte und dieser seine Unschuld beteuerte. Rapskal? Sogar Rapskal? Heiße Tränen zwängten sich aus ihren Augen und hinterließen Salzspuren auf ihren leicht geschuppten Wangen. Ihr Gesicht brannte. Errötete sie? Konnte sie noch erröten, oder war es die Hitze der Wut?
Sie hatte nichts davon wahrgenommen. Blind, dumm, vertrauensselig und einfältig wie ein Kind war sie gewesen. Sie hätte im Boden versinken können. Weil sie insgeheim etwas für Tats empfand, gab sie sich der törichten Vorstellung hin, dass er auch etwas für sie empfinden würde. Dennoch hatte sie gewusst, dass sie aufgrund dessen, was sie war, dazu verdammt war, ein Leben ohne Leidenschaft zu führen. Hatte sie tatsächlich geglaubt, er würde sich diese Gefühle versagen, nur weil er wusste, dass er sie nicht haben konnte? Idiotin.
Und Rapskal? Plötzlich war sie in so vielerlei Hinsicht wütend, dass es sie beinahe würgte. Wie konnte Jerd mit dem arglosen, bescheidenen Rapskal so etwas tun? Dass Jerd ihn dazu verführt hatte, verdarb ihn in Thymaras Augen. Auf einmal erschien ihr sein frecher Optimismus und seine immerzu gutmütige Art in einem anderen Licht. Plötzlich musste sie daran denken, wie er nachts neben ihr geschlafen und ihren Rücken gewärmt hatte. Sie hatte es für kindliche Zuneigung gehalten. Nun aber entrang sich ihr ein empörtes Kreischen. Wovon hatte er in diesen Nächten geträumt? Was dachten die anderen über ihre Nähe? Glaubten sie etwa, sie und Rapskal würden ihre Leiber genauso ineinanderschlingen, wie Greft und Jerd das taten?
Glaubte es Tats?
Eine neue Welle der Entrüstung traf sie. Sie sah zum Feuer hinüber, und ihr war klar, dass sie ihren Gefährten trotz nasser Kleider und leeren Magens heute Abend fernbleiben würde. Noch würde sie es Rapskal gestatten, neben ihr zu schlafen. Abrupt wirbelte sie herum und ging zu dem an Land gezogenen Boot zurück. Sie würde ihre Decke holen und bei Sintara schlafen.
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