Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
weh.
Heute hatten die Jäger nur wenig Beute erlegt. Sie roch kein Fleisch, nur Fisch, der über dem Feuer gegrillt wurde. Früher hatte sie Fisch gemocht und als ein besonderes, weil seltenes Vergnügen erachtet. Jetzt aber beschloss sie trotz ihres großen Hungers, sich mit Trockenfleisch zufriedenzugeben.
Auch die Drachen waren enttäuscht. Einige der großen männlichen Drachen gingen übel gelaunt auf der Sandbank auf und ab. Ranculos watete im Flachwasser, als könne er dort noch etwas zu fressen finden. An Abenden, an denen es reichlich zu essen gab, gesellten sich die Drachen oft zu den Hütern ans Feuer. Zusammen genossen sie die Wärme. Heute aber waren sie hungrige Einzelgänger.
Hätte Thymara sich allein auf ihre Augen verlassen müssen, wäre es im Dunkeln schwierig gewesen, Sintara zu finden. Aber sie musste nur der lästigen Gedankenverbindung mit der Drachenkönigin folgen. Sintara hielt sich am flussabwärts gelegenen Zipfel des Landstreifens auf und starrte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.
Und sie war nicht allein. Im Näherkommen hörte Thymara Alises Stimme, die freundlich, aber tadelnd klang. »Du hast sie absichtlich und ohne sie darauf vorzubereiten dorthin geschickt. Natürlich regt sie sich darüber auf. Ich würde auch nicht ohne Vorwarnung in eine solche Szene stolpern wollen. Sie ist sehr empfindsam, Sintara. Ich glaube, du solltest mehr Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen.«
»Empfindsam zu sein, kann sie sich nicht leisten«, gab der Drache scharf zurück.
Thymara blieb stehen und lauschte angestrengt, um zu erfahren, was sie sonst noch über sie sprechen würden. Ihr kam der bittere Gedanke, dass sie allmählich zu einem erfahrenen Spitzel wurde.
»Sie ist bereits stark und hart im Nehmen«, widersprach Alise. »Wenn du auch noch ihren Geist härter machst, machst du keinen besseren Menschen aus ihr. Nur einen roheren. Ich finde, es wäre schade, wenn das passieren würde.«
»Es wäre noch viel schlimmer, wenn sie so weitermachen würde wie bisher – sich zahm an anderer Leute Regeln zu halten, sich immer zurückzuhalten. Unter Drachen und Elderlingen wissen wir, dass Weibchen Königinnen sind, frei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihren eigenen Wünschen zu folgen. Das muss Thymara lernen, wenn sie mir weiterhin dienen will.«
»Dir dienen!«, stotterte Alise. »Denkst du so darüber? Dass sie deine Dienerin ist?«
Alise hatte es weit gebracht, dachte Thymara, seit jenen Tagen, in denen sie jeden an Sintara gerichteten Satz in ein blumiges Kompliment verpackt hatte. Jetzt schien es fast, als spräche sie von Frau zu Frau mit der Drachin. Hatte sie sich wirklich so sehr verändert? Vielleicht lag es auch daran, dass Sintara zufrieden mit ihnen war und daher auf die Anwendung ihres Zaubers verzichtete. Thymara grinste, weil Alise sie verteidigte. Doch im nächsten Moment schon musste die Frau aus Bingtown dafür bezahlen.
»Natürlich dient sie mir. Wenigstens hat sie das Zeug dazu, mir zu dienen, wenn sie erst einmal die Haltung einer Königin annimmt. Was nutzt mir eine Dienerin, die vor Menschen kuscht? Wie kann sie von ihnen Dinge für mich fordern, wenn sie immer zurücksteckt? Es gab eine Zeit, da habe ich auch von dir geglaubt, dass du mir auf solche Weise dienen könntest, Alise. Aber inzwischen enttäuschst du mich beinahe noch mehr als Thymara. Und ich kann bei dir nicht den Versuch erkennen, dies zu ändern. Vielleicht bist du zu alt und deshalb nicht mehr dazu in der Lage.«
Manchmal drückte sich Schmerz in Schweigen aus. Das wurde Thymara plötzlich klar, denn sie vernahm Alises Schmerz, und er trieb sie aus der Dunkelheit. Ohne so zu tun, als hätte sie nichts gehört, eilte sie der Frau zu Hilfe. »Ich wüsste nicht, warum eine von uns beiden einem derart überheblichen, undankbaren Geschöpf wie dir dienen sollte!«, rief sie, während sie zwischen die beiden trat.
»Ah, guten Abend, du kleine Schleicherin. Hat es dir Spaß gemacht, im Dunkeln zu lauern und uns zu belauschen?« Angriffslustig blähte sich die Brust der Drachin, und sie schien vor Wut fast zu leuchten. Ein silberblaues Schimmern umgab sie, und die zahlreicher werdenden Nackenkrausen stellten sich auf. Das Glühen des Drachen ließ kupferrot schimmernde Wellen über Alises Kleid laufen. Der Anblick der angestrahlten rothaarigen Frau vor den silbernen und blauen Schuppen des Drachen war atemberaubend schön. Wie eine Szene aus einer alten Erzählung oder einem
Weitere Kostenlose Bücher