Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
damit aufhörten. »Hat eine von Euch mir etwas zu fressen gebracht?«
Thymara entließ Alise aus der Umarmung und wischte sich mit dem Ärmel das feuchte Gesicht ab. »Ich hatte heute keine Gelegenheit zu jagen. Ich glaube, die Jäger haben etwas Fisch gefangen.«
»Ich habe bereits verzehrt, was Carson als ›meinen Anteil‹ bezeichnet hat. Es war jämmerlich.«
»Ich könnte gehen und …«
»Sei still!«, bellte Sintara sie an. Da war etwas, ein fernes Geräusch wie das Brausen eines Sturms drang schwach zu ihnen. Von dem Silberdrachen ging ein Gefühl von Not und Wut aus. Wie stets waren seine Gedanken nur schwach geformt, aber etwas hatte ihn in Angst versetzt.
»Was ist los?«, brüllte sie den Silberdrachen, aber auch alle übrigen an. Inzwischen war das Geräusch angeschwollen. Selbst die Menschen konnten es jetzt hören. Sie sah, dass Thymara den Kopf drehte und etwas rief. Alise klammerte sich an sie und bewegte den Kopf hin und her, um die Quelle des Lärms auszumachen. Das Brausen schien näher zu kommen, aber weder Wind noch Regen nahmen zu. Nun wurde es noch lauter, und darunter lag ein Rattern, in das sich unregelmäßiges Krachen und Knacken mischten.
»Es ist der Fluss! Eine Flut!« Wie ein Rammsporn fuhr Mercors Ruf in ihren Geist, und mit der Warnung wurden alte Erinnerungen wach.
»Fliegt! Erhebt euch über das Wasser!«, dröhnte sie, da sie für einen Moment vergaß, wer sie war, nämlich nur ein halber, an die Erde gefesselter Drache. Die Dunkelheit konnte die Gefahr nicht vollständig verschleiern. Sintara sah flussaufwärts und erkannte eine mit weißer Gischt gekrönte Wasserwand, die sich überschlagende Baumstämme vor sich herschob.
»Lauft zu den Bäumen!«, rief Thymara, doch das Brausen war inzwischen so laut geworden, dass nur die Drachen sie noch hören konnten. Sintara sah, dass die beiden Frauen sich an den Händen fassten, sich umwandten und davonliefen.
»Zu spät!«, bellte sie ihnen nach, streckte den Hals vor, packte Alise bei der Schulter und riss sie von den Beinen. Die Frau kreischte. Doch Sintara ließ sich nicht beirren, sondern schwenkte den Kopf wie einen Kran herum und setzte die Menschenfrau zwischen ihren Schwingen ab. »Halt dich fest!«, schärfte sie ihr ein.
Thymara floh, und Sintara galoppierte ihr hinterher.
Dann traf sie die Welle.
Sie bestand nicht allein aus Wasser, vielmehr peitschte sie Felsbrocken und Sand vor sich her. Altes Treibholz verkantete sich mit frisch entwurzelten Bäumen. Sintara wurde von der Flut mitgerissen. Der Schlag eines Stamms schleuderte sie zur Seite. Die malmenden Wassermassen trieben sie unerbittlich flussabwärts. Kurz wurde sie vollständig überspült, und sie schlug mit den Pranken aus, um an die Oberfläche und – wie sie hoffte – ans Ufer zu gelangen. Um sie her war nichts als Chaos, Wasser und Finsternis. In den brodelnden Wellen wurden Drachen, Menschen, Boote, Stämme und Brocken wild durcheinandergeworfen. Endlich brach ihr Kopf durch die Oberfläche an die Luft, doch die Welt war ein einziges Durcheinander. Sintara wurde umhergeschleudert und ruderte verzweifelt gegen die Strömung an. Aber sie vermochte das Ufer nicht zu entdecken. Unter dem Nachthimmel gab es nichts als weiß schäumendes Wasser. Kurz erhaschte sie einen Blick auf Teermanns Laterne und erkannte ein leeres Boot, das von den belaubten Zweigen eines treibenden Baumstamms erfasst worden war. Der mächtige Stamm, der den Hütern als Feuerstelle gedient hatte, schoss an ihr vorbei. Zischender Rauch stieg von ihm auf, und noch immer war er von glimmender Glut gekrönt.
»Thymara!«, hörte sie Alise rufen, und da erst merkte sie, dass die Frau sich noch immer auf ihrem Rücken festklammerte. »Rette sie! Sieh doch, Sintara, dort ist sie! Siehst du sie? Dort drüben!«
Erst sah sie nichts, doch dann entdeckte sie das Mädchen. Thymara kämpfte mit einem Gewirr aus treibenden Sträuchern, aber die Zweige hatten sich in ihren Kleidern verfangen. Bald würde sie unrettbar darin verheddert sein und in die Tiefe gezerrt werden. »Dumme Menschen!«, keifte Sintara. Sie kämpfte sich in Thymaras Richtung, als Ranculos, der von einer Welle fortgerissen wurde, in ihre Seite krachte. Als sie sich von dem Stoß erholt hatte und wieder zu dem Gesträuch sah, war das Mädchen verschwunden. Zu spät.
»Thymara! Thymara!«, kreischte Alise, aber sie klang hoffnungslos.
»Wo liegt das Ufer?«, rief die Drachin.
»Ich weiß nicht!«, schrie die Frau. Und
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