Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
bereit«, gab Sintara zurück. Fast klang sie dankbar, was überhaupt nicht ihrem sonstigen Naturell entsprach. Thymara hätte beinahe gelächelt. Vielleicht würde Sintara die Hüter nach diesem Ereignis mit anderen Augen sehen.
Sie japste, als Tats sie beim Arm fasste. »Ich habe dich«, sagte er beruhigend. »Komm hier lang.«
»Lass mich los! Du bringst mich aus dem Gleichgewicht.« Erst als die Kränkung in seinen Zügen sichtbar wurde, fügte sie versöhnlicher hinzu: »Wir müssen auf dem Stamm Platz für Alise machen. Geh zurück, Tats.« Und als er ihrem Wunsch nachkam, setzte sie leise hinzu: »Ich bin so froh, dich lebend zu sehen, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll.«
»Außer ›Lass mich los!‹?«, fragte er gekränkt.
»Ich bin nicht mehr wütend auf dich«, erklärte sie ihm und war erstaunt, dass es der Wahrheit entsprach. »Links von Euch, Alise!«, rief sie der Frau zu, die noch an Sintaras Schwinge hing und nach einem Tritt für ihren Fuß tastete. »Noch ein Stück weiter, noch ein Stück … genau da. Ihr seid direkt darüber. Lasst Euch einfach herab.«
Die Frau aus Bingtown folgte ihrem Rat, doch als der Stamm unter ihrem Gewicht absackte, stieß sie ein schrilles Kreischen aus. Dennoch setzte sie auch den anderen Fuß darauf und hielt mit gespreizten Armen das Gleichgewicht wie ein Vogel, der nach einem Sturm seine Flügel trocknet. Kaum war Sintara von ihrer Last befreit, als sie einen Satz machte, um das Vorderbein über den Stamm zu schwingen, den Sylve nach unten drückte. Durch die abrupte Bewegung geriet der Treibholzteppich in Wallung. Alise schrie auf, glich das Wanken aber aus und behielt das Gleichgewicht. Aber Thymara gab jeglichen Stolz auf, ging in die Hocke und setzte sich auf den Stamm. »Kauert Euch hin!«, empfahl sie Alise. »Wir können uns auf den Stämmen entlangrobben, bis es nicht mehr so schaukelt.«
»Ich kann balancieren«, gab die Frau aus Bingtown zurück, und obwohl ihre Stimme etwas bebte, blieb sie aufrecht stehen.
»Wie Ihr wünscht«, erwiderte Thymara. »Ich robbe.« Sie vermutete, dass die langjährige Erfahrung in den Baumwipfeln sie gelehrt hatte, kein unnötiges Risiko einzugehen. Sie kroch auf das breite Ende des Stammes zu, wo das verkrüppelte Wurzelwerk aus dem Wasser ragte. Erst als sie sich an den Wurzeln festhalten konnte, stand sie wieder auf. Tats war ihr vorausgegangen. Jetzt sah er sie von der Seite an und sagte. »Ich zeige dir, wie ich hierhergekommen bin. An manchen Stellen ist der Teppich dicker als an anderen.«
»Danke«, entgegnete sie und wartete, bis Alise sie eingeholt hatte. Im Näherkommen wickelte sie die schlaff herabhängende Schärpe auf. Thymara blickte zu Sintara zurück und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie es Sylve überließ, sich um ihren Drachen zu kümmern. Doch das zierliche Mädchen bewegte sich sicher und erklärte dem Drachen, was er tun sollte. Erleichtert seufzte Thymara auf. Sylve würde das gut schaffen.
»Sylve ist es gelungen, eines der Boote zu retten«, sagte Tats über die Schulter nach hinten. »Sie hat mich aus dem Wasser gezogen.«
»Ich weiß noch gut, dass ich sie anfangs für zu jung und kindlich für eine solche Expedition gehalten habe«, stellte Thymara fest und war erstaunt, dass Tats lachte.
»Katastrophen fördern offenbar unsere besten Fähigkeiten zutage.« Sie hatten die ersten großen Bäume erreicht. Thymara blieb daneben stehen und legte die Hand auf die Rinde. Das fühlte sich gut an. Zwar bebte der Baum in der vorbeirasenden Flut, aber dennoch war er beständiger als alles, was sie in den letzten Stunden erlebt hatte. Sie sehnte sich danach, ihre Klauen in die Borke zu treiben und hinaufzuklettern. Aber sie war immer noch an Alise angebunden.
»Dort drüben ist einer mit tiefen Ästen«, teilte Tats ihr mit.
»Eine gute Wahl«, pflichtete sie ihm bei. Unter den Bäumen war das zertrümmerte Holz dichter zusammengeschoben. Obschon das Treibholz bei jedem Schritt wankte, konnte man leichtfüßig zu dem Baum gelangen, auf den Tats gedeutet hatte. Nachdem es ihr allmählich zu einer Gewissheit wurde, dass sie überlebt hatte, drängten sich andere Sorgen in den Vordergrund ihres Denkens. Doch sie hielt ihre Fragen zurück, bis sie bei dem Baum angelangt waren. Dort schlug sie die Klauen in die Rinde und kletterte ein kleines Stück nach oben. Dann half sie Alise beim Hochsteigen, während Tats sie von unten abstützte. So bekamen sie die Frau aus Bingtown leidlich
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