Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Einstürze aus. Vielleicht waren Hüter seit früher Kindheit an Verlust gewöhnt
Alise wünschte sich, sie wären weniger schweigsam. Denn sie selbst wollte am liebsten den Mond anheulen, sie wollte beben und schimpfen, plärren und vor Verzweiflung zusammenbrechen. Nur zu gern hätte sie über Teermann und Kapitän Leftrin gesprochen und die Hüter gefragt, ob sie glaubten, dass das Schiff die Flut überstanden hatte. Ob sie damit rechneten, dass Leftrin zurückkam und nach ihnen suchte. Als würde die Errettung Wirklichkeit werden, wenn man nur darüber sprach! Für Alise wäre es auf eigenartige Weise tröstlich gewesen, wenn sie immer und immer wieder darüber hätte reden können. Doch angesichts all der Jugendlichen, die sich schweigend mit der Katastrophe abfanden – da brachte sie es nicht fertig.
Mit den Fingern nahm sie den dampfenden Fisch auseinander und aß ihn zusammen mit dem Pilz und einigen Fasern des Zwiebelmooses. Dieses schmeckte in der Tat nach Zwiebeln. Danach aß sie den »Teller«, auf dem der Fisch serviert worden war. Das Brotblatt hatte seinen Namen nicht verdient, denn es hatte nichts mit Brot zu tun. Zwar war es dick und stärkehaltig und knusprig, aber ihr Gaumen entlarvte es dennoch als das, was es war – Gemüse. Nachdem sie aufgegessen hatte, war sie noch immer hungrig. Die Sauerbirne half wenigstens gegen den Durst. Trotz der verschrumpelten Haut war das Fruchtfleisch saftig. Alise verschlang sie mit Stumpf und Stiel und bedauerte, dass es nicht noch mehr davon gab.
Doch bei jedem Bissen war sie mit den Gedanken woanders. War Leftrin wohlauf? Hatte Teermann die Welle überstanden? Der arme Sedric würde vor lauter Sorgen um sie bestimmt den Verstand verlieren. Suchten sie vielleicht bereits nach ihnen? Sie wollte es glauben, wollte es so unbedingt glauben, dass sie nichts getan hatte, um ihre Lage hier zu verbessern, wie ihr nun auffiel. Kapitän Leftrin und Teermann würden zu ihrer Rettung eilen. Seit Sintara sie aus dem Wasser gezogen hatte, war sie davon überzeugt gewesen.
»Glaubst du, dass wir hier festen Grund haben werden, wenn das Wasser gesunken ist?«, fragte sie Thymara.
Thymara schluckte einen Bissen hinunter und dachte darüber nach. »Das Wasser fließt ab, aber ob darunter Land ist, wissen wir erst, wenn es ganz weg ist. Und selbst wenn, wird es für einige Tage nur Sumpf sein. In der Regenwildnis kommt es schnell zu Überschwemmungen, aber das Wasser fließt nur sehr langsam wieder ab, denn die Erde ist vollgesogen. Deshalb wird man nicht darauf gehen können, falls Ihr daran gedacht habt. Zumindest kommt man nicht weit.«
»Und was werden wir dann tun?«
»Jetzt? Erst einmal werden diejenigen von uns, die dazu fähig sind, sammeln und jagen. Der Rest wird so gut es geht dafür sorgen, dass wir hier angenehm lagern können. Und wenn der Wasserspiegel gesunken ist, dann werden wir schon sehen, was wir dann machen.«
»Werden die Drachen weiterwandern wollen?«
»Ich glaube nicht, dass sie hierbleiben wollen«, meldete sich Tats. Nun fiel Alise auf, dass er nicht der Einzige war, der ihre Unterhaltung mitverfolgt hatte. Fast alle Hüter in Hörweite lauschten ihrem Gespräch. »Hier gibt es nichts für sie. Wenn sie können, werden sie weiterziehen wollen. Mit oder ohne uns.«
»Können sie ohne uns überleben?« Die Frage kam von Boxter.
»Nicht so einfach und nicht sonderlich gut. Aber sie haben den Weg größtenteils alleine gefunden und auch die Lagerplätze ausgesucht. Auch das Jagen haben sie ein wenig gelernt. Sie sind kräftiger und zäher als bei unserem Aufbruch. Leicht wäre es nicht, aber bisher war kein Teil der Reise leicht für sie. Ich würde nicht behaupten, dass sie freiwillig ohne uns weiterwandern würden.«
Tats hielt inne. Alise wartete, doch Thymara setzte seinen Gedankengang fort. »Wenn wir jedoch nicht in der Lage sind, mit ihnen zu gehen, wenn wir keine Möglichkeit haben, sie zu begleiten, dann bleibt ihnen keine andere Wahl. Hier wird ihnen bald das Futter ausgehen. Dann müssen sie sich von uns trennen.«
»Könnten sie uns nicht tragen?«, fragte Alise. »Sintara hat Thymara und mich gerettet, indem sie uns beide in Sicherheit getragen hat. Mit uns zu schwimmen, war zwar nicht leicht für sie, aber wenn sie durchs Flachwasser waten würden, wie sie es sonst immer tun …«
»Nein, das würden sie nicht tun«, sagte Greft entschieden.
»Das würde ihre Würde zu sehr verletzen«, sagte Thymara leise. »Sintara hat uns
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