Raine der Wagemutige
schwacher Stimme. In ihrem Kopf pochte ein dumpfer Schmerz, und ihr Rücken und ihre Schultern schienen in Flammen zu stehen, wann immer sie sich bewegte. Das gnädige Dunkel einer erneuten Ohnmacht harrte nicht weit außer Reichweite, lockte sie ins Vergessen.
„Sie ist zu weit gegangen“, hörte sie Jamie murmeln. „Kein Stück Land ist den Preis deiner Seele wert.“
Die Dunkelheit verschluckte sie wieder. Als Favor das nächste Mal zu sich kam, wurde ihr langsam bewusst, dass jemand sie hielt und ihr ein kühles, feuchtes Tuch an die Stirn drückte. „Raine“, flüsterte sie.
„Es tut mir so Leid, Favor McClairen“, sagte Jamie. „Es tut mir alles so Leid, was wir Euch angetan haben. Der Junge hat niemandem Gewalt angetan. Ihr habt uns vor der Sünde bewahrt, einen Unschuldigen zu ermorden. Und das ist alles, was Ihr getan habt. Carr hätte einen anderen Weg gefunden, uns von dem Land zu vertreiben. Ihr kamt ihm nur gerade recht. “
„Bitte“, sagte sie schwach und versuchte sich umzudrehen. Sie musste Muira aufhalten. Raine. Lieber Gott, warum war sie nicht bei ihm geblieben? Warum hatte sie ihm nicht zugehört? Die Dunkelheit wirbelte näher, lockte sie wieder; doch sie kämpfte dagegen an und konzentrierte sich auf Jamies leise Litanei.
„Muira kamt Ihr ebenfalls gerade recht. Uns allen. Das will ich nicht leugnen. Wir hätten Euch nie so benutzen dürfen. Es ist nur, dass wir es Muira schuldig waren. Bitte, versucht das zu verstehen.
Wir waren nach dem Massaker überall im Land verstreut. Sie fand uns. Sie hat uns ein Ziel gezeigt, eine Aufgabe gegeben, etwas, das mehr war, als von Tag zu Tag ums Überleben zu kämpfen, ohne Stolz, ohne Zukunft und ohne
Vergangenheit. Aber irgendwo auf dem Weg haben wir sie verloren. Ich wusste es und habe trotzdem nichts unternommen, sie aufzuhalten. Das ist eine Schuld, die ich den Rest meines Lebens mit mir werde herumtragen müssen.“ Die Dunkelheit wich weit genug zurück, dass Favor sich aus Jamies kräftigen Armen in eine sitzende Position kämpfen konnte. Seine Schuld kümmerte sie nicht. Sie hatte selbst körbeweise Schuld mit sich herumzuschleppen. Alles, was sie wollte, war Raine. „Wo ist sie?“
„Ich weiß es nicht. Zurück auf Wanton's Blush, würde ich vermuten. Sie hat die Pferde wie eine Wilde angetrieben.“ Betrübt schüttelte er seinen mächtigen Kopf. „Ruht Euch besser aus, Miss Favor. Jetzt ist alles vorbei.“
„Nein, das ist es nicht“, widersprach sie. Sie entwand sich ihm und wimmerte leise, während sie aufstand. Wie Wellen kam die Dunkelheit näher, drohte über ihr zusammenzuschlagen, aber sie wehrte sich und gewann den Kampf, nicht darin unterzugehen. „Ich muss zu Raine, Jamie. Du musst mich nach Wanton's Blush bringen.“
„Miss Favor, wozu soll das gut sein?“ erkundigte sich Jamie kummervoll.
Sie streckte die Hand aus und lehnte sich gegen den Pfeiler am Fuße der Treppe. Sie durfte ihn nicht an Muiras verrückte Besessenheit verlieren, noch an irgendetwas sonst.
„Hast du nicht gehört, Jamie, was sie gesagt hat? Und du, der du sie so gut kennst, hast du nicht begriffen, was sie vorhat?“
Er packte sie am Ellbogen, um sie zu stützen. Sie schüttelte seine Hand ab. „Was denn, Miss Favor?“
„Sie hat vor, alle drei umzubringen - den Kammerdiener, den Priester und Raine - und indem sie das tut, will sie den Weg für meine Heirat mit Carr freimachen.“
Jamie starrte sie an, sein Schweigen Zeugnis seiner Zustimmung. „Aber Ihr würdet nie einverstanden sein. Das muss sie doch wissen.“
„Es ist ihr gleichgültig. Sie ist verrückt!“ sagte Favor, ergriff Jamies Hand und begann daran zu ziehen. „Jetzt fahr mich nach Wanton's Blush, Jamie Craigg. Fahr, als wäre der Teufel selbst hinter dir her. “
Wanton's Blush stand ungewöhnlich dunkel in der zunehmenden Dämmerung. Wenige Lichter nur erhellten die engen Schießscharten in der Fassade der Burg; und ihre beiden Seitenanbauten, völlig finster, schienen sich um den düsteren Innenhof zu schließen wie die Flügel eines riesigen, geheimnisvollen Nachtvogels. Jamie brachte die schaumbedeckten Pferde vor den gewaltigen Eingangstüren zum Stehen. Favor sprang aus der Kutsche, bevor die armen Tiere richtig stehen geblieben waren.
„Miss Favor!“ rief Jamie. „Ich warte hier draußen auf Euch.“
Sie antwortete nicht. Sie stieß eine der massiven Türen auf, eilte an dem verdutzten Lakai vorbei und die breite Treppe zu den verlassenen,
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