Raine der Wagemutige
jeden Fall jedoch war es interessant, dass Pater Dominic, ihr Bruder, zufällig Madame Noirs Beichtvater war. Aus welchen Gründen auch immer kannte sich die Äbtissin mit den Gewohnheiten der berüchtigten Dame außerordentlich gut aus, und dafür war Favor dankbar.
Der Plan war einfach gewesen. Eine der Mägde des Klosters hatte einem französischen Leutnant gegenüber ein paar Worte fallen lassen, dass die Äbtissin in einer bestimmten Nacht an einem bestimmten Ort durch einen unerwartet eingetretenen Glücksfall feine schottische Wolldecken erwarte. In der Zwischenzeit begab sich Favor, als Madame Noir verkleidet, in das örtliche Gefängnis, um einen Engländer auszusuchen, den man für den berüchtigten Schmuggler halten konnte.
Alles war nach Plan verlaufen.
Einmal abgesehen von dem Ausdruck in den Augen des Engländers. Und dass er geschworen hatte, nie wieder in das Gefängnis zurückzukehren. Und dass er bei seiner Frage, ob er ihr Haar anfassen dürfe, irgendwie nackter und schutzloser gewirkt hatte, als sie sich je gefühlt hatte.
Das Ruderboot stieß leicht gegen den mit Muscheln übersäten Rumpf des Schiffes.
Favor runzelte die Stirn. Es gab keinen Grund, warum sie sich so schuldig fühlen sollte. Wenn die Wachen einmal begriffen, dass sie nicht La Bete gefangen genommen hatten, würde der Engländer einfach wieder in das Gefängnis zurückgebracht werden, genau dahin, wo er auch gelandet wäre, wenn sie wirklich Madame Noir gewesen wäre.
Gedämpfte Stimmen erschallten von oben, und Jamie antwortete ebenfalls leise. Eine Sekunde später wurde eine Strickleiter zu ihnen herabgeworfen, und zwei Männer lehnten sich über die Reling. Favor ergriff ihre Hände und wurde an Bord gezogen. Eine Sekunde später stemmte Jamie schnaufend und keuchend sein Gewicht in die Höhe und schwang sich an Deck, gefolgt von seinen Männern.
„Bringt sie zu ihrer Kabine“, befahl er in schwerem schottischem Akzent, mit einer Bewegung seines Kopfes auf Favor deutend. „Lichtet die Anker und macht euch daran, so schnell wie möglich Segel zu setzen. Es geht nach Hause, Jungs.“
Seine Ankündigung wurde mit billigendem Füßescharren aufgenommen. Neugierige Blicke folgten ihr, während ein kahlköpfiger Mann sie am Ellbogen fasste und durch eine Tür in eine enge Kabine führte. Bevor Favor sich umdrehen konnte, schloss sich die Tür hinter ihr.
Sie sah sich um. Ein schmales Bett, an die Wand genagelt, ein Tisch auf der anderen Seite, ebenso befestigt. Darauf stand eine angeschlagene Waschschüssel. Dankbar tauchte sie ihr Taschentuch in das kalte Wasser und betupfte sich das Gesicht.
Vor der Tür hörte sie die Stimme einer Frau. Ihre Überraschung wich rasch Begreifen. Das konnte nur Muira Dougal sein, die Frau, deren eiserner Wille und unnachgiebige Entschlossenheit ihr Leben in den vergangenen neun Jahren bestimmt hatten. Niemand hatte Favor gesagt, dass Muira an Bord sein würde. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich innerlich darauf vorzubereiten, der Frau gegenüberzutreten, die . . . Favor suchte nach einem Wort, das angemessen beschrieb, bis in welche Bereiche hinein diese Frau ihr Leben beeinflusst hatte. Und das alles über eine Entfernung von Hunderten von Meilen hinweg, meistens durch Briefe.
In gewisser Weise hatte Muira Dougal Favor McClairen geschaffen. Ganz bestimmt gab es das Kind, das vor neun Jahren so verloren auf fremder Erde angekommen war, nicht mehr.
„Wie ging es?“ hörte Favor sie Jamie fragen.
„Recht gut, Mistress“, erwiderte Jamie Craigg respektvoll. „Die Wachen im Gefängnis haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als die Kleine erklärte, sie wäre Madame Noir.“
„Dann ist sie also gut? Wird sie schaffen, was sie tun muss?“
Jamie machte eine Pause, dann fuhr er fort. „Aye. Sie wird es tun. Obwohl ich sagen muss . .ein leises, tiefes Lachen war zu hören, „wenn ein Mann seine Sinne beisammen hat, würde er sie augenblicklich durchschauen und sehen, dass das Mädel keine Ahnung hat, was für eine Frau sie da spielt.“
„Nun, Jamie Craigg . . .“, Muiras Stimme nahm einen tadelnden Tonfall an, hart und beißend, „es freut mich, dass es dir solches Vergnügen bereitet. Aber das hier ist kein Scherz; es ist bitterer Emst, unsere letzte Chance, das wiederzuerlangen, was uns gestohlen wurde. Und selbst wenn dir das nicht länger heilig ist, so gibt es noch genug von uns, denen es anders geht.“
„Vergebt mir, Mistress“, antwortete Jamie mürrisch. „Ich
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